Am Ende des Schweigens - Link, C: Am Ende des Schweigens
davon. Sie hatte nicht ein einziges Wort gesprochen.
»Tja«, sagte Tim, »da kann man nur sagen: Herzlichen Glückwunsch! «
Jessica brauchte einen Moment, um zu realisieren, daß er das Baby meinte.
Evelin stand auf und verließ den Raum.
»Was ist denn mit Evelin los?« fragte Patricia.
Niemand beantwortete ihr diese Frage.
Alexander sagte: »Es tut mir leid.«
Jessica hatte keine Lust, mit ihm zu sprechen. Nicht über den frühen Morgen, nicht über den Abend. Sie war enttäuscht, verletzt, ratlos und wütend. Inmitten all dieser aufeinanderprallenden Gefühle sah sie keine Möglichkeit für ein Gespräch. Zuerst mußte sie zur Ruhe kommen. Nachdenken. Und herausfinden, ob sie ein Gespräch überhaupt noch für sinnvoll erachtete.
Sie hatte Angst. Sie verließ ebenfalls das Wohnzimmer. Hinter sich hörte sie Patricias hektische Stimme. »Ich mußte doch mit euch reden! Ich mußte euch das vorlesen. Das sind Mordphantasien, die Ricarda hier auslebt. Das ist gefährlich. Also, ich weiß nicht, wie es euch geht, aber ich fühle mich gar nicht mehr wohl in ihrer Gegenwart. Man weiß ja nie, ob …«
Gewäsch, dachte Jessica, verdammtes, idiotisches, blödes Gewäsch!
Sie sah sich nach Evelin und Ricarda um, konnte aber niemanden entdecken. Evelin hatte sich vermutlich in die Küche zurückgezogen und fraß den Kühlschrank leer. Und Ricarda würde wohl zu ihrem Freund gehen, Verbot hin oder her. Und recht hatte sie.
Und mich wollen sie alle beide bestimmt nicht sehen, dachte sie und stieg langsam die Treppe hinauf.
22
Was brachte es ihm, hier herumzuhängen, mitten in der Nacht, vor einem großen schmiedeeisernen Tor, hinter dem ein Paradies lag, von dem er sich aber vielleicht nur einbildete, daß es ein Paradies war?
Nichts, entschied er. Es brachte ihm eigentlich nichts. Es brachte ihn womöglich nicht einmal einer Erkenntnis in der Frage näher, ob es überhaupt richtig war, was er tat. Ob es für ihn richtig war. Oder ob er sich einfach nur hoffnungslos in eine völlig aberwitzige Idee verrannt hatte, wie Geraldine mehrfach behauptet hatte.
Geraldine! Er zündete sich eine Zigarette an, rauchte hastig und nervös. Die Geschichte mit Geraldine neigte sich wohl ihrem Ende zu, er würde das nicht aufhalten können, wollte es wohl auch gar nicht. Er mochte sie, sie war ihm sehr vertraut. Zudem war sie selbstverständlich geworden in den letzten Jahren, zu selbstverständlich vielleicht, zu ergeben, zu sehr ein Schatten, der hinter ihm hereilte, wohin er auch ging. Konnte das Liebe töten? Oder war Liebe auf seiner Seite nie dagewesen? Im nachhinein waren solche Dinge fast nicht mehr zu analysieren.
Es war ihm nicht möglich, sie zu heiraten. Keinesfalls. Zugleich war ihr Wunsch nach Ehe, Kindern, Familie zu stark geworden, als daß sie noch lange so weitermachen würde wie bisher. Er hatte
sie sehr verletzt am Morgen, das wußte er. Typisch für die Abhängigkeit von ihm, in der sie trotz allem noch lebte, war, daß sie Yorkshire nicht verlassen hatte, sondern lediglich innerhalb des Hotels in ein anderes Zimmer umgezogen war. Er war den halben Tag unterwegs gewesen, ziellos umhergestreift, grübelnd, sich und sein Leben überdenkend, und am späten Nachmittag war er schließlich deprimiert und ohne irgendein Ergebnis ins Hotel zurückgekehrt. Im Zimmer befanden sich weder sie noch ihre Sachen, was ihm, da sie die Unmengen an Klamotten, mit denen sie reiste, immer auf Sesseln, Fensterbänken und Tischen stapelte, sofort auffiel. Müde war er hinuntergegangen, hatte mindestens viermal auf die scheppernde Klingel an der Rezeption gedrückt und insgesamt zehn Minuten gewartet, ehe das picklige Mädchen aus der Bar auftauchte und ihn gelangweilt fragte, was er wolle.
»Miss Roselaugh ist wohl abgereist?« hatte er teils gefragt, teils festgestellt.
Sein Gegenüber hatte den Kopf geschüttelt. »Sie ist nur umgezogen. In Zimmer …« Sie blätterte unendlich langsam in einem Buch. »In Zimmer acht! Das ist ein Stockwerk über Ihrem Zimmer, Sir.«
In ihre stumpfsinnig blickenden Augen trat ein Anflug von Interesse. Oder eher Neugier. Eine ihrer Kolleginnen, ein Zimmermädchen, hatte neulich schon festgestellt, ihr tue die schöne, schwarzhaarige Frau aus London sehr leid. Der Typ, mit dem sie angereist sei, kümmere sich ja überhaupt nicht um sie …
Jetzt war sie also aus dem gemeinsamen Zimmer ausgezogen. Sicher ein geschickter Schachzug, dachte das Mädchen.
Phillip hatte irgend etwas gemurmelt
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