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Am Ende des Schweigens - Link, C: Am Ende des Schweigens

Am Ende des Schweigens - Link, C: Am Ende des Schweigens

Titel: Am Ende des Schweigens - Link, C: Am Ende des Schweigens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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mit so wütender Heftigkeit auf, daß die beiden Frauen darin vermutlich im ersten Moment an einen Überfall glaubten.
    »Ich weiß nicht, aber der ist mir richtig unheimlich«, meinte Evelin, als sie beide im Auto saßen und auf der Landstraße zurück zum Haus fuhren. »Er ist so … fanatisch. So … zu allem entschlossen! «
    »Er kriegt sein Leben nicht auf die Reihe«, sagte Jessica, »und er hat sich in die Idee verrannt, daß dies mit der jahrelangen Nicht-Existenz seines Vaters zusammenhängt.« Sie erklärte Evelin in kurzen Worten die Problematik von Phillips Jugend. »Über Kevin McGowans Erbe meint er, seinem Vater sozusagen posthum noch nahezukommen und seinen Frieden mit ihm machen zu können. Und daß sich dann seine Schwierigkeiten auflösen und er endlich durchstarten, sich so etwas wie eine Existenz aufbauen kann.«
    »Das wird doch so oder so nicht funktionieren«, sagte Evelin.
    Jessica zuckte mit den Schultern. »Halten wir uns nicht alle manchmal an solchen Konstruktionen fest, wenn wir überhaupt nicht mehr zurechtkommen?«
    »Sicher«, stimmte Evelin zu. Ihre Stimme klang bitter, nicht so schwach und kindlich wie sonst oftmals. »Das tun wir. Aber wir
stellen dann auch immer fest, daß wir uns nur etwas vorgemacht haben.«
    Jessica warf ihr einen Blick von der Seite zu. Evelin hielt die Lippen fest aufeinandergepreßt und sah zum Fenster hinaus.
     
    Ricarda nahm am Mittagessen teil. Allerdings rührte sie kaum einen Bissen an und sprach kein Wort. Patricia sah ständig zu ihr hinüber. Jessica meinte, etwas Verschlagenes, Lauerndes in ihren Zügen zu erkennen, sagte sich dann aber, daß dieses Gefühl ihrer überreizten Phantasie entspringen müsse. Sicher hatte es etwas mit der schrecklichen Stimmung zu tun, die am Tisch herrschte. Jeder schien in eigene Gedanken versunken zu sein, und offenbar waren niemandes Gedanken angenehm.
    Nach dem Essen setzten Diane und Sophie ihr Federballturnier im Garten fort, wohl entschlossen, sich mit sportlichen Aktivitäten ein Stück weit über den Verlust ihrer geliebten Reitstunden hinwegzutrösten. Ricarda zog sich erneut auf ihre Bank zurück, versank dort in sich selbst und gab allein durch ihren Gesichtsausdruck jedem zu verstehen, daß sie keinerlei Kontakt wünschte. Patricia setzte sich mit Leon auf die Terrasse und begann dort auf ihn einzureden; in ihrer üblichen intensiven Art, mit der sie stets den Eindruck vermittelte, sie wolle ihrem Gesprächspartner ihre Ausführungen am liebsten direkt ins Gehirn meißeln.
    Evelin bot an, das Geschirr zu spülen und die Küche aufzuräumen, und Jessica, die ahnte, daß sie sich heimlich über die Reste hermachen wollte, ließ sie allein.
    Sie war noch immer verstört, wußte nicht, wie sie mit der Situation umgehen sollte. Sie mochte Alexander keine Eifersuchtsszene machen, weil ihr dies würdelos vorgekommen wäre, aber sie wußte auch, daß sie dauerhaft nicht würde so tun können, als sei nichts geschehen. Sie bereute es jetzt, am frühen Morgen sein Versteckspiel mitgemacht zu haben. Sie hätte die Treppe hinuntergehen und unbefangen sagen sollen: »Ach, du hast gerade mit
Elena telefoniert! Was gab es denn?« Bevor er hätte lügen können, bevor die Angelegenheit eine so komplizierte Dimension hätte annehmen können. Nun schlich sie um ihn herum wie eine Katze um den heißen Brei und hatte dabei Magenschmerzen, weil sie sich so aufregte.
    Nichts wird mehr so sein, wie es war, dachte sie plötzlich, und obwohl sie sich im nächsten Moment zur Ordnung rief, die Dinge nun keinesfalls zu dramatisieren, wußte sie doch, daß es stimmte.
    Alexander saß mit Tim im Wohnzimmer und spielte Schach, und so gab es zunächst ohnehin keine Gelegenheit, mit ihm zu sprechen. Jessica rief nach Barney und brach zu einem ihrer langen Spaziergänge auf. Wieder zog es sie zu der Stelle, an der sie den Hund aus dem Wasser gefischt und Phillip kennengelernt hatte, aber heute blieb sie allein auf dem Hügel, schaute über die Täler und konnte nirgendwo einen einsamen Wanderer entdecken. Im ersten Moment fühlte sie eine vage Enttäuschung oder eher eine Art Erstaunen, weil sie angenommen hatte, Phillip sei da, aber gleich darauf war sie erleichtert. Er war in einer schlimmen Verfassung gewesen, vorhin bei ihrer kurzen Begegnung vor dem Dorfladen, zornig und aggressiv und wohl auch verzweifelt. Es ging ihm schlecht, er wußte nicht weiter. Sie versuchte sich in seine Lage zu versetzen: Vielleicht hatte er heute, an

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