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Am Ende des Schweigens - Link, C: Am Ende des Schweigens

Am Ende des Schweigens - Link, C: Am Ende des Schweigens

Titel: Am Ende des Schweigens - Link, C: Am Ende des Schweigens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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und war in die Bar gegangen, um ein Bier zu trinken. Er fühlte Erleichterung - und Mitleid. Erleichterung, weil Geraldine ihm mit ihrem Auszug in die obere Etage ein wenig Freiraum gegeben hatte. Und Mitleid, weil sie es einfach nicht schaffte, ihn zum Teufel zu jagen, nach London zu fahren und sich einen Mann zu suchen, der ihr gab, was sie brauchte, und der sie zu einer glücklichen Frau machte.

    Er warf seine Zigarette ins Gras, trat sie aus. Er wollte jetzt nicht an Geraldine denken. Es ging für ihn um die Frage, ob er den Kampf um Stanbury House führen wollte; es ging darum, herauszufinden, ob ein Sieg realistisch war und ob er ihm den Frieden bringen würde, den er sich erhoffte. Ein quälendes Problem, das in seinem Kopf herumtobte und sich nicht wirklich fassen ließ. Wann immer er rational und ruhig darüber nachdenken wollte, entstand ein Chaos von Gefühlen in seinem Kopf: Aggressionen, Ängste, alte Verletzungen. Die Sehnsucht nach seinem Vater, zugleich der Haß auf ihn, den er noch immer mit sich herumtrug. Wahrscheinlich war er neurotisch, was Kevin McGowan anging. Deshalb war er dem Problem ausgeliefert, anstatt es zu beherrschen. Das alles fing bereits jetzt an, ihn mehr Kraft zu kosten, als er geahnt hatte.
    Das Haus konnte er vom Tor aus nicht sehen, nicht einmal einen Lichtschein. Falls um diese Zeit überhaupt noch Licht brannte. Der Mond war hell, der Himmel beinahe wolkenlos, so daß er die Zeit auf seiner Armbanduhr ablesen konnte. Fast Mitternacht. Wahrscheinlich schliefen sie dort alle schon längst.
    Die Nacht war ungewöhnlich mild. Selbst in London, im Süden Englands, waren derartige Nächte Anfang April äußerst selten, genaugenommen konnte er sich nicht erinnern, so etwas schon einmal erlebt zu haben. Für den morgigen Tag hatten sie sehr warmes, fast sommerliches Wetter im Radio angekündigt.
    Was werde ich morgen tun? fragte er sich. In der Gegend herumlaufen wie immer?
    Er brauchte einen Anwalt, soviel stand fest. Wenn das alles auf eine Exhumierung hinauslief, die er vor Gericht gegen den sicherlich erbitterten Widerstand von Patricia Roth würde erstreiten müssen, brauchte er juristischen Beistand. Ein Anwalt könnte ihm auch sagen, welche Chancen überhaupt für ihn bestanden. Das Ärgerliche war nur, daß er allein für diese Auskunft eine Menge Geld würde hinlegen müssen. Anwälte, das wußte er, ließen es sich bezahlen, auch wenn sie einen nur anhusteten.
Schlecht für ihn, der er so pleite war, wie ein Mensch nur sein konnte. Und nach allem, was geschehen war, konnte er kaum Geraldine um Geld bitten. Sie hatte ohnehin schon mehr als genug für ihn bezahlt - ohne etwas dafür zu bekommen. Seine Liebe, beispielsweise. Sein Ja vor dem Standesamt. Er hatte sie in jeder Hinsicht enttäuscht.
    Er schob den Gedanken an Geraldine ein zweites Mal brüsk beiseite. Er versuchte sich Kevin McGowan - seinen Vater - vorzustellen, wenn er, von London kommend, mit dem Auto durch dieses Tor fuhr. Er hatte nie ganz dort gewohnt, bis auf seine letzten anderthalb Lebensjahre. Zum Sterben gewissermaßen hatte er sich nach Stanbury House zurückgezogen. Er hatte Krebs gehabt, genau wie Phillips Mutter. Phillip hatte manchmal den Eindruck, daß die Leute heutzutage nur noch an Krebs starben, und dann und wann fragte er sich, was der Umstand, beide Eltern durch diese Krankheit verloren zu haben, wohl für ihn bedeutete. Ein genetisch vorprogrammiertes elendes Ende vermutlich.
    Kevin McGowan hatte Stanbury House Ende der siebziger Jahre erworben, seine Londoner Wohnung jedoch behalten. An den Wochenenden war er nach Yorkshire gefahren, in den Ferien, über Weihnachten. In einem Zeitungsinterview hatte er einmal erklärt, das Haus mit seinem weitläufigen Park und der einsamen Landschaft ringsum sei ein Refugium der Ruhe für ihn.
    »Dort fallen Streß und Hektik sofort von mir ab«, hatte er in dem Gespräch gesagt, »ich fahre durch das Tor zum Park und bin in derselben Sekunde ein anderer Mensch.«
    Kevin McGowan hatte verfügt, auf dem Friedhof von Stanbury beerdigt zu werden. Phillip war zweimal an seinem Grab gewesen, aber der Stein dort hatte ihn seltsam unberührt gelassen. Er war schon etwas verwittert und bemoost und trug die Inschrift: Kevin McGowan, 10. August 1922 - 2. Dezember 1993.
    Er war nicht sehr alt geworden. Einundsiebzig Jahre.
    Der verdammte Krebs eben, dachte Phillip, er kann einen zu jeder Zeit erwischen.

    Wenn er Stanbury House aufsuchte, fühlte er sich seinem

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