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Am Ende des Schweigens - Link, C: Am Ende des Schweigens

Am Ende des Schweigens - Link, C: Am Ende des Schweigens

Titel: Am Ende des Schweigens - Link, C: Am Ende des Schweigens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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nichts mehr zu sich genommen. Ein paarmal im Laufe des Tages war er drauf und dran gewesen, ins Dorf zu fahren und sich wenigstens ein Sandwich oder ein Doughnut zu kaufen, aber dann hatte er wieder an seine fünf Pfund gedacht und es sich versagt. Er brauchte jeden Penny, wenn er nach London wollte. Allein das Benzin … er wagte gar nicht, daran zu denken.
    Er war tief erleichtert, als Ricarda endlich auftauchte. Minutenlang standen sie eng umschlungen. Sie vergrub ihr Gesicht an seiner Schulter, er spielte mit seinen Lippen in ihrem Haar. Er merkte, daß sie am ganzen Körper bebte.
    Er schob sie ein Stück von sich weg. »Was ist los?« fragte er leise.
    Sie erzählte ihm, wie der vergangene Tag verlaufen war, bis hin zu seinem traumatischen Höhepunkt am Abend, und dann erzählte er ihr von seinem Tag, von dem schlimmen Zusammenstoß mit seinem Vater und dem langen, einsamen, hungrigen Warten in der Scheune.
    »Du hast nicht zufällig etwas zu essen?« fragte er.
    Sie lächelte. Zum erstenmal, seitdem sie die Scheune betreten hatte, hellte sich ihr Gesicht auf.
    »Ich habe ein wenig Proviant mitgenommen«, sagte sie, öffnete
ihren Rucksack und kramte darin herum. »Ich habe mich einfach bei denen in der Küche bedient.«
    Sie förderte ein paar Sandwiches mit Käse und Mayonnaise zutage, zwei Bananen, drei Äpfel, eine Tupperdose mit Kartoffelsalat und einem halben Bratwürstchen, dazu eine Flasche Mineralwasser. Keith konnte aber auch erkennen, daß sie einige Kleidungsstücke eingepackt hatte: Unterwäsche, einen warmen Pullover, ein T-Shirt.
    »Du gehst nicht zurück, oder?« fragte er.
    Sie schüttelte heftig den Kopf. »Niemals«, antwortete sie.
    Gemeinsam machten sie sich über das Essen her. Sie saßen friedlich im Schein der Lichter, glücklich darüber, zusammenzusein, kauten und tranken schweigend. Keith aß den Löwenanteil, Ricarda sagte, sie habe wenig Hunger. Sie hatte sehr abgenommen, fiel ihm auf. Das kräftige, sportliche Mädchen wirkte fast ätherisch.
    Als er fertig war, als kein Krümel mehr übrig war, lehnte sich Keith zurück. »Ich bleibe auch nicht«, erklärte er.
    Sie sah ihn erschrocken an. »Du bleibst nicht? Was meinst du damit?«
    »Bei meinen Eltern«, erklärte er, »bei ihnen bleibe ich nicht. Meine Mutter ist ja in Ordnung, aber von meinem Vater werde ich mich nie mehr beleidigen lassen.«
    »Wir können doch hier leben«, sagte Ricarda und umschrieb mit einer Handbewegung die Scheune. »Wir richten es uns schön her und …«
    »Süßes, wie stellst du dir das denn vor? Zum einen gehört uns dieser Hof hier ja nicht, und offiziell dürften wir hier gar nicht sein. Und dann - du bist fünfzehn! Dein Vater wird nach dir suchen, und …«
    »Am vierten Juni werde ich sechzehn!«
    »Aber du wirst jedenfalls erst in zwei Jahren volljährig. Das heißt - sechzehn ist natürlich schon besser als fünfzehn«, fügte Keith hinzu, denn er erinnerte sich, daß er dies bereits im Zusammenhang
mit einem Leben in London gedacht hatte. »Aber trotzdem suchen sie nach dir, und hier finden sie dich sofort. Außerdem - wovon sollten wir leben?«
    Sie sah ihn verzagt an. »Ja, aber dann …«
    »Könntest du dir vorstellen …«, er machte ein kurze Pause, »könntest du dir vorstellen, mit mir nach London zu kommen?«
    »Nach London?«
    »Wir suchen uns jeder eine Arbeit. Irgendwelche Jobs. Gleichzeitig bemühe ich mich um eine Lehrstelle. In London finde ich bestimmt leichter eine als hier. Wir mieten eine Wohnung … für den Anfang kann es ja etwas ganz Kleines sein, und …«
    Sie hatte leuchtende Augen bekommen. »Oh, Keith! Klar komme ich mit! Nach London! Wir beide zusammen! Wir fangen ein neues Leben an. Es wird so wunderbar werden!«
    »Hast du Geld?« fragte er.
    23
    Jessica wachte auf und wußte nicht sofort, wo sie war. Es roch anders um sie herum als sonst, es war dunkler, kein Sonnenlicht fiel gegen die geschlossenen Vorhänge und ließ sie in warmem Rot aufleuchten, und überhaupt waren sie auch gar nicht rot, sondern beige, und das ganze Zimmer war völlig anders eingerichtet.
    Sie begriff, daß sie sich nicht in ihrem und Alexanders Bett befand, und erinnerte sich daran, daß sie am Vorabend in die kleine Kammer umgezogen war, die unten im Haus neben der Küche lag.
    Ein schmaler, länglich geschnittener Raum, der wohl ursprünglich als Vorratskammer gedient hatte, aber so viele Vorräte brauchten sie nie für die Zeit ihrer Urlaube, und die Küche mit ihren vielen

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