Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Am Ende des Schweigens - Link, C: Am Ende des Schweigens

Am Ende des Schweigens - Link, C: Am Ende des Schweigens

Titel: Am Ende des Schweigens - Link, C: Am Ende des Schweigens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
Vom Netzwerk:
legte wie fröstelnd die Arme um den Körper. »Es geht immer um die Männer, nicht wahr? Sie sind immer bestimmend.«
    Er verstand nicht, was sie meinte, hatte jedoch auch nicht den Eindruck, durch Nachfragen zum Kern ihres Denkens vordringen zu können.
    Sie saßen eine Weile schweigend nebeneinander, sehr friedlich, jeder in seine eigenen Gedanken vertieft. Phillip rupfte Grashalme aus und verknotete sie, und Evelin zupfte am Saum ihres riesigen Pullovers herum und grub mit den Fingernägeln Linien in den Stoff ihrer Hose. Dann plötzlich ging ein Ruck durch ihren Körper; er spannte sich wie der eines Tieres, das eine Gefahr wittert; sie hob den Kopf, und die Ausstrahlung von Furcht und Nervosität war so stark, daß Phillip meinte, sie riechen zu können - scharf, beißend, abstoßend. Er sah sie an.
    »Was ist los?«
    Sie stand auf. »Mein Mann«, sagte sie.
    Er folgte ihrem Blick. Er sah den Bärtigen über die Wiese kommen, den Typen, mit dem er am Vortag gesprochen hatte. Er nahm seine Bewegungen wahr, und trotz der Entfernung etwas im Ausdruck seines Gesichts, und plötzlich verstand er. Er tat einen scharfen Atemzug.
    »Evelin«, sagte er.
    Sie reagierte nicht. Sie war wie paralysiert.
    Offensichtlich hatte Tim die Gestalt zwischen den Büschen entdeckt. Er blieb stehen, kniff die Augen zusammen.
    »Evelin? Bist du das?« Er sprach deutsch, natürlich. Phillip verstand nur wenige Worte dieser Sprache, konnte sich jedoch meist einigermaßen zusammenreimen, worum es ging, wenn sich Deutsche unterhielten.
    Sie machte einen Schritt nach vorn.
    »Ich bin hier!« Ihre Stimme klang brüchig.
    »Verdammt noch mal.« Das kam leise und voller Wut. »Ich suche dich schon eine Ewigkeit. Ich vermisse wichtige Aufzeichnungen.
Computerausdrucke. Seit Stunden. Hier herrscht ein verdammtes Chaos. Wie immer. Ich will, daß du …«
    »Tim«, sagte Evelin leise.
    Er wandte sich bereits wieder zum Gehen. Offenbar hatte er Phillip, der noch auf dem Felsen saß, nicht bemerkt.
    »Du bist in einer Minute bei mir im Haus«, sagte er, ohne sich noch einmal umzuschauen. Er schien nicht den geringsten Zweifel zu hegen, daß sie seinem Befehl Folge leisten würde.
    Phillip stand auf. Er legte seine Hand auf Evelins Arm, und sie zuckte zusammen.
    »Sie müssen sich diesen Ton nicht gefallen lassen«, sagte er. »Niemand sollte so mit Ihnen reden dürfen. Auch nicht, und erst recht nicht, Ihr Mann.«
    Er war nicht sicher, ob sie ihm zugehört hatte. Sie ließ ihn stehen und ging los. Ihm fiel auf, daß sie stark hinkte und daß sie den Eindruck erweckte, sich wie ferngesteuert zu bewegen. Oder wie eine Marionette an Fäden.
    Er wollte noch etwas sagen, aber er würde sie nicht erreichen, das konnte er spüren.
    Im übrigen, er mußte sich das immer wieder sagen, ging ihn das alles wirklich nichts an.
    Und hatte er nicht kürzlich erst - wie wenig weit lag das zurück! - erkannt, daß er sie alle haßte?

Donnerstag, 24. April - Freitag, 25. April
    1
    Seltsamerweise weigerte sich Jessicas Gehirn zu verarbeiten, was sie sah. Vielmehr, ein Teil ihres Gehirns weigerte sich. Ein anderer Teil sagte ihr klar und deutlich, daß es kein Trugbild war, Patricia mit durchschnittener Kehle in der Schaftränke liegen zu sehen, und daß sie es endlich glauben sollte. Aber etwas in ihrem Kopf wollte einfach nicht wahrhaben, was doch offensichtlich war.
    Solche Dinge geschahen nicht. Es war einfach absurd. Noch dazu Patricia. Patricia würde nie zulassen, daß man Derartiges mit ihr tat.
    Sie hörte plötzlich ein Lachen und erschrak furchtbar, bis sie erkannte, daß es ihr eigenes Lachen gewesen war, daß sie gelacht hatte über den Gedanken, daß Patricia es nicht dulden würde, so behandelt zu werden.
    Der Gedanke an den Täter, der, wer immer er war, noch in der Nähe sein könnte, hatte sich für Momente verflüchtigt, trat nun aber wieder in den Vordergrund.
    Irgend jemand hatte dies hier getan, und es gab keine Garantie dafür, daß er das Weite gesucht hatte.
    Warum nur fingen die Vögel nicht endlich wieder an zu zwitschern? Das Schlimmste war diese Stille. Ohne die Stille, bildete sie sich ein, würde alles leichter zu ertragen sein.
    Irgendwo mußten die anderen sein. Alexander, Tim, Evelin, Leon, die Mädchen. Warum ließ sich niemand blicken? Warum lag das Haus wie ausgestorben in der Mittagssonne?

    Wie lange war sie eigentlich weg gewesen? Schwer zu sagen, wenn sie lief, verlor sie leicht jedes Zeitgefühl. Auf jeden Fall war es

Weitere Kostenlose Bücher