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Am Ende des Schweigens - Link, C: Am Ende des Schweigens

Am Ende des Schweigens - Link, C: Am Ende des Schweigens

Titel: Am Ende des Schweigens - Link, C: Am Ende des Schweigens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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mehr.«
    »Aber Elena ist nicht mehr hier.«
    Patricia schwieg bedeutungsvoll.
    Alexander atmete tief.
    »Nein«, sagte er, »nein, das kannst du nicht vergleichen. Jessica sucht nie die Konfrontation. Sie lehnt … das alles hier nicht ab. Sie mag manchmal ein wenig eigenbrötlerisch erscheinen, aber sie hat sich integriert und fühlt sich dazugehörig.«
    »Aber seitdem sie da ist, rastet Ricarda aus. Und auch das bringt alles durcheinander.«
    Alexander hob hilflos die Schultern. »Sie ist ein heranwachsendes Mädchen. Die scheren immer irgendwann aus.«
    »In der Zeit dazwischen«, sagte Patricia, »zwischen Elena und Jessica, meine ich, war es am besten.«
    »Ich konnte doch nicht für immer allein bleiben.«
    Patricia ließ diese Bemerkung unkommentiert und machte sich wieder daran, die Lichterketten zu entwirren.
    »Telefonierst du eigentlich mit Elena?« fragte sie dann unvermittelt. »Ich meine jetzt, wegen der Sache mit Ricarda?«
    Er kam sich vor wie ein Schuljunge, der beim Abschreiben erwischt worden ist.

    »Ja«, gab er zögernd zu.
    Sie sah wieder zu ihm hoch. Wie sie da hockte - die Finger mit den langen, spitzen Nägeln voller Erdklumpen, die blonden Haare wie helle Seide in der Sonne schimmernd, die Augen gegen die Sonne zu schmalen Schlitzen gezogen wie eine hungrige Katze -, kam sie ihm vor wie ein lauerndes, räuberisches, durch und durch erbarmungsloses Geschöpf.
    Er erschrak vor seinen eigenen Gedanken. Erbarmungslos. Durfte man das von einem Menschen behaupten? Und doch spürte er es ganz deutlich, ihre Mitleidlosigkeit, ihre Skrupellosigkeit. Elena hatte sie gehaßt. Patricia war der Grund gewesen, weshalb Elena sich irgendwann geweigert hatte, noch einmal nach Stanbury zu fahren. In gewisser Weise war Patricia der Grund für alles. Der Grund für die Scheidung.
    »Also, ich bin dann im Garten«, sagte er.
    Sie nickte, lächelte verächtlich und widmete sich wieder ihrer Arbeit.
     
    Der Hof lag wie ausgestorben in der Sonne. Keith bremste mit quietschenden Reifen. Es war eine mörderische Fahrt gewesen, einfach fürchterlich. Ricarda hatte manchmal geglaubt, sie würden nicht lebend ankommen. Keith war gerast wie der Teufel, hatte sämtliche Vorschriften und Verbote ignoriert, und es waren immer wieder Situationen entstanden, in denen Ricarda den Atem angehalten hatte.
    »Fahr doch ein bißchen vorsichtiger«, hatte sie zweimal gefleht, aber beim ersten Mal hatte Keith überhaupt nicht reagiert, und beim zweiten Mal hatte er sie angefaucht: »Verdammt, laß mich in Ruhe! Es ist ja nicht dein Vater, der im Sterben liegt!«
    »Du weißt doch gar nicht, ob er im Sterben liegt.«
    »Ich weiß aber, daß es ihm verdammt dreckig gehen muß, sonst wäre Mum nicht so verzweifelt!«
    Er hängt doch sehr an seinem Vater, dachte Ricarda.
    Inzwischen brannten ihre Augen vor Müdigkeit und vor Kummer,
und sie sehnte sich nur noch nach der stillen Zweisamkeit in der verlassenen Scheune; nur sie und Keith und ein paar brennende Kerzen und das Licht des Mondes draußen über dem Hof. Die Zärtlichkeit und Wärme dieser Stunden schienen auf einmal unfaßbar weit entfernt. Die Wirklichkeit bestand jetzt aus einem gereizten Keith, der auf beinahe selbstmörderische Art Auto fuhr, aus einem gescheiterten Fluchtversuch, aus der Aussicht auf eine demütigende Rückkehr nach Stanbury House - denn wohin sonst sollte sie gehen?
    Sie hätte gern geweint, aber sie hatte Angst, daß Keith sie dann anschreien würde, und so verbiß sie sich die Tränen und starrte mit versteinertem Gesicht aus dem Fenster.
    Keith sprang aus dem Wagen und lief zur Haustür, die sich soeben öffnete; offenbar hatte man ihre Ankunft mitbekommen. Ricarda sah eine Frau heraustreten, die bleich und mager wirkte und offenbar zittrig auf ihren Beinen stand. Sie fiel in Keiths Arme, brach förmlich in ihnen zusammen.
    »Ach du Scheiße«, murmelte Ricarda.
    Sie stieg aus und blieb unschlüssig neben dem Wagen stehen.
    Keith verschwand mit seiner Mutter im Haus. Es verstrichen einige Minuten, ehe er wieder herauskam. Er sah sehr blaß aus.
    »Meinen Vater hat’s böse erwischt«, sagte er. »Schlaganfall. Er ist im Krankenhaus in Leeds, aber sie wissen nicht, ob er es übersteht und ob er … ob er danach wieder der alte wird. Verdammter Mist!« Wieder wühlte er in seinen Haaren, die inzwischen wie eine Art Wischmop zu Berge standen. »Wir hatten ja den schlimmen Streit gestern, und jetzt …« Er schien schockiert, so als könne er noch

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