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Am Ende des Winters

Am Ende des Winters

Titel: Am Ende des Winters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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geworden. Es gab für ihn keine Zeit außerhalb der Zeit seiner Vision. Das war die Welt, wie sie vor der Katastrophe gewesen war; die Welt auf dem Höhepunkt ihrer höchsten zivilisatorischen Entwicklung, als Wunder etwas Alltägliches waren.
    Und er war Bürger jener Welt geworden. Er streifte durch die Straßen des alten Vengiboneeza und blieb hier stehen, um sich vor einem hohen saphiräugigen Herrn zu verneigen, hielt sodann inne und wechselte Scherzworte und Komplimente mit einer Gruppe errötender zwitschernder Vegetalischer, trat höflich beiseite, um einen Seelord in einem prachtvoll funkelnden Wagen an sich vorbeizulassen. Er wußte, er befand sich an der Nabe des Universums. Die Epochen eines jeden Sterns trafen hier zusammen. Und nie zuvor hatte es etwas Vergleichbares im Universum gegeben. Es war sein einzigartiges grandioses Privileg, dies erschauen zu dürfen. Er wollte durch alle Straßen streifen, wollte jedes Gebäude besichtigen, wollte alles sehen und begreifen und in sich aufnehmen: wollte von nun an in zwei Welten leben und – wenn er konnte – die Bürgerschaft in diesem der Vernichtung geweihten Land einer längst verflossenen Vergangenheit bewahren.
    Und wenn das ein Traum ist, dachte er, dann ist es der köstlichste Traum, den je einer geträumt hat.
    Nur sehr wenig von dem, was er sah, besaß deutlicher Ähnlichkeit mit dem Vengiboneeza, wie er es kennengelernt hatte. Vielleicht ein Halbdutzend von diesen grandiosen Bauwerken, überlegte er, haben sich bis in meine Zeit erhalten. Die übrigen waren gänzlich verschieden, ebenso wie es auch das Straßennetz war. Er wußte, das hier war Vengiboneeza, denn die Stadt lag genauso zwischen den Bergen und dem Wasser eingebettet; doch die Stadt mußte viele Male immer wieder umgebaut und neugebaut worden sein im Verlauf ihrer langen Existenz. Er empfing von ihr das starke Gefühl von etwas Lebendigem, sich Wandelndem, wie von einem riesenhaften Geschöpf, das atmete und sich bewegte.
    Nun erkannte Hresh mehr denn je die Vielfältigkeit und Kompliziertheit der Großen Welt, und er fühlte sich bedrückt und mutlos angesichts der Aufgabe, die sein Volk würde zu meistern haben, wenn es versuchte, seinen Ehrgeiz so hoch zu schwingen, es den Leistungen dieser verlorenen Zivilisation gleichzutun. Und wieder sagte er sich, daß auch die Große Welt nicht an einem Nachmittag gebaut wurde. Die mühevolle Arbeit von Millionen Einzelnen über Tausende von Jahren hinweg hatten sie erschaffen. Und wenn man ihnen nur genug Zeit ließ, dann konnte sein Volk es ebensogut zustande bringen.
    Er streifte weiter, schwebte wie ein Gespenst dahin, spähte hierhin, lugte dorthin, bemüht, dies alles in sich aufzunehmen, ehe ihm diese Vision – wie die vorige – entrissen würde.
    Und nach einiger Zeit wurde ihm bewußt, daß es etwas gab, das er hier nicht erblickt hatte.
    Meine eigenen Leute, dachte er. Wo sind wir?
    Er zählte sorgfältig. Von den Sechs Völkern, von denen die Chroniken berichteten, die sich friedlich in diese entschwundene Welt geteilt hatten, waren Hresh bislang fünf vor Augen gekommen: Saphiräugige, Hjjks, Vegetalische, Mechanische und Seeherren. Aber das Sechste Volk waren die Menschen. Und von ihnen hatte er überhaupt nichts gesehen. Von der Fremdartigkeit und Üppigkeit des Ganzen benommen, war ihm die Abwesenheit dieser einen Rasse erst jetzt aufgefallen.
    Er durchsuchte die Stadt bis an den Rand, aber er fand nirgendwo Menschliche. Von einem weiten Platz zum anderen, jenen breiten Boulevard hinauf und diesen hinab, in den Weintavernen des Hafens und den weißen Marmorvillen der Vorberge suchte er nach den Menschen und hoffte sehnlichst, einen einzigen Blick auf dichtes dunkles Fell und helle wache Augen zu erhaschen, auf stolz hochgereckte Sensororgane. Nichts. Nicht einer. Es war, als seien Menschliche im antiken Vengiboneeza der großen Hochkulturzeit gänzlich unbekannt.
    Aber während seiner Queste stieß Hresh ab und zu auf Geschöpfe einer anderen ihm vertrauten Art; merkwürdige schwächliche Wesen waren sie, spärlich über die große Stadt verstreut, verstreut zu zweit oder zu dritt über Vengiboneeza wie kostbare Edelsteine auf einem Sandstrand. Sie waren hochgewachsen und schlank, und sie gingen aufrecht, genau wie das Volk. Ihre Schädel waren hochgewölbt, ihre Lippen waren schmal, ihre Haut war bleich und ohne Fell; und ihre Augen hatten einen geheimnisvollen, rätselhaften violetten Schimmer. Und von ihnen strahlte eine

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