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Am Ende des Winters

Am Ende des Winters

Titel: Am Ende des Winters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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Struktur der Stadt als eine Reihe ineinander greifende Ringe, zu Hunderten, große und breite und schmale, kleine, und er erkannte sie so klar, als wären sie nichts weiter als ein halbes Dutzend in den Boden geritzte gerade Linien. Flimmernde glühendrote Lichterpunkte brannten an vielen Stellen entlang dieser Ringzonen.
    Hresh beschloß, diese Lichterpunkte ein andermal zu untersuchen. Heute war seine Aufgabe, sich mit der Maschine der Knöpfe und Hebel vertraut zu machen. Er faßte die selben Knöpfe wie zuvor – er konnte auf ihnen die Markierungen seiner Handwärme von seinem letzten Besuch auf ihnen ausmachen – eine erregte flackernde gelbe Schwingung –, und er ergriff sie mit aller seiner Stärke.
    Eine unwiderstehliche Kraft bemächtigte sich seiner sogleich und riß ihn empor und trug ihn, als wäre er ein Staubkorn, in eine andere Dimension.
    Die Große Welt explodierte rings um ihn zu grandiosem Leben.
    Er befand sich noch immer in Vengiboneeza, doch war es nicht mehr die Ruinenstadt. Es war wieder, wie es einst gewesen, die von Leben überquellende Stadt; diesmal aber war es keine flüchtige gleitende Vision, sondern lebendig, leibhaftig und greifbar, von der unbestreitbaren Dichte der höchsten Realität.
    Die Stadt schimmerte im heißen Schein ihrer Lebensüberfülle und Lebendigkeit, und er, Hresh, befand sich überall mitten darin, schwebte durch sämtliche Straßen gleichzeitig, ein unsichtbarer Beobachter auf dem zentralen Marktplatz, auf den Marmorkais am Gestade, in den Villen auf den begrünten Hängen des Hügeldistriktes.
    Ich bin hier, dachte er, ich bin wirklich und wahrhaftig hier. Ich bin in den Mahlstrom, den Abgrund der Zeit wie ein Staubkorn hinabgesaugt worden wie durch einen Strohhalm und mitten ins Herz der Großen Welt geschleudert worden.
    Er bangte, ob es ihm je wieder möglich sein werde, in seine vertraute Welt zurückzukehren.
    Und dann erkannte er, daß es ihm unwichtig war.
    Wohin er den Blick wandte, sah er dichte Gruppen von Saphiräugigen. Die Leute bewegten sich gelassen, selbstsicher mit untergehakten Armen dahin, schlendernd, gemächlich. Und wieso sollten sie auch nicht selbstsicher und gelassen sein? Sie waren die Herren der Welt. Hresh betrachtete sie ehrfürchtig. Was für gewaltige, furchterregende Bestien sie doch waren, mit ihren übermäßigen Kieferbacken, der Myriade blitzender Zähne, den rauhen grünen Schuppen und diesen glotzenden saphirblauen Augen! Wie stolz sie auf ihren mächtigen fleischigen Hinterbeinen durch die Straßen schwankten, wie sie sich mit den riesigen dicken Schwänzen abstützten! Jedoch, man durfte sie eigentlich nicht wirklich als Bestien ansehen, so furchteinflößend sie auch aussahen. In ihren seltsamen Augen leuchtete eine hellwache, scharfe Intelligenz. Die langen Schädel wölbten sich zu erstaunlich hohen Kranialschalen auf, unter denen Hresh die Ströme in ihren großen Gehirnen ticken fühlte.
    Diese gewaltigen Gehirne waren von einer kalten trägen Flüssigkeit durchströmt, fast wie Blut, aber eben überhaupt nicht Blut. Aber das Denken, der Verstand der Saphiräugigen war weder träge noch kalt. Hresh spürte das Donnern ihrer Gedanken von überall her auf ihn einhämmern. Handelsherren, Dichter, Philosophen, Weisheitswissende, Meister des praktischen und des ideellen Wissens: sie alle arbeiteten eifrig in jedem Augenblick des Tages und der Nacht und registrierten, analysierten und faßten alles zu einem ganzen zusammen. Er erkannte und begriff nun noch deutlicher als vorher, was für ein gigantisches Werk, was für Arbeit und Mühe es bedeutete, eine große Zivilisation wie diese hier zu schaffen und aufrecht zu erhalten: Wieviel Denken dazu nötig war, wieviel Informationen gesammelt, gespeichert und verbreitet werden mußten, wie verzahnt und schwierig das Geflecht der Planung und Durchführung war. Während er die Saphiräugigen beobachtete und über sie nachdachte, erschienen ihm seine ‚Leute’, ‚das Volk’, mit dem lächerlich kleinen Kokon, den erbärmlichen Chronikbüchern, den unbedeutenden mündlichen Überlieferungen und ‚geheiligten’ Sitten und Bräuchen als noch unwichtiger und bedeutungsloser denn je zuvor. Die Saphiräugigen, selbst wenn sie sich wollüstig in den steingemauerten Badeteichen voll rosa Strahlung suhlten, die sie so sehr liebten, waren beständig mit Studieren beschäftigt, mit Denken, mit leidenschaftlichen Streitgesprächen. Hatte es je eine Rasse von solcher Art gegeben? Und

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