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Am Ende des Winters

Am Ende des Winters

Titel: Am Ende des Winters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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wie? Du wirkst so zart, doch deine Art muß zäh sein. Die Saphiräugigen sind ausgestorben und die Seeherrscher sind tot und alle die anderen großen Völker sind ebenfalls nicht mehr, aber dich, dich gibt es noch. Nichts jagt dir Furcht ein. Nichts wird dir zuviel. Ich will deinem Beispiel folgen, kleines Thekmur.«
    Auf einmal begann der Boden zu schwanken, eine seitliche schwingende Bewegung versetzte die ganze Kapelle ins Wanken. Früher hätte Koshmar sich wohl mit einem Satz ins Freie gerettet, in die Sicherheit; aber das Thekmur rührte sich nicht von seiner Stelle auf der anderen Seite des Altares, und sie hielt gleichfalls stand und wartete ohne Bestürzung auf das Ende des Bebens. Und es war auch kurz darauf wieder vorbei. Das kleine Tier schritt mit großer Würde aus der Kammer. Koshmar folgte ihm. Es war wenig Schaden entstanden, nur ein paar überhängende Balustraden einer Ruine waren herabgestürzt.
    Das ist ein Omen, sagte Koshmar zu sich selber. Es zeugt von der Wachsamkeit der Götter, die ihre Hände auf die Erde gelegt haben, um mich daran zu mahnen, daß es sie gibt und daß sie allmächtig sind, und daß ihr Planen gut ist, und daß wir, wenn die Zeit reif ist, ihre Wünsche wissen werden.
    Das Erdbeben so kurz nach dem Unwetter ließ Hresh keinen Zweifel mehr, daß es für ihn Zeit sei, endlich wieder zu dem Platz mit den sechsunddreißig Türmen zurückzukehren. Derartige Omina waren zu gewichtig und zu dringlich, als daß man sie hätte mißachten dürfen. Die Götter hatten schwer die Hand auf ihn gelegt und drängten ihn. Es geziemte sich nunmehr, daß er den Wunderstein einsetzte, um an das in der unterirdischen Höhle angehäufte Wasser zu gelangen.
    »Mach dich bereit«, beschied er Haniman. »Heute ist der Tag. Ich gedenke erneut in die verborgene Höhle hinabzusteigen.«
    Und sie stapften davon in Richtung auf das Stadtviertel Emakkis Boldirinthe. Es war ein sonniger Morgen, der Himmel wolkenlos, doch voller gewaltiger Schwärme von breitschwingigen, langhalsigen blauroten Vögeln, zweifellos auf einem gewaltigen Wanderzug, die kreischend oben dahinzogen. Auf dem ganzen Weg tanzte und kapriolte und jodelte Haniman, so begierig war er darauf, die geheimnisvolle Höhle erneut zu erleben.
    Sie betraten den Turm der schwarzen Steinplatte. Sogleich rannte Haniman in die Mitte und kauerte sich auf dem Stein nieder wie beim erstenmal, auf daß Hresh auf ihn steigen und gegen die Metallstrebe schlagen könne, durch die die Plattform abwärts in Bewegung gesetzt wurde. Hresh aber bedeutete ihm mit einer Handbewegung, von da wegzugehen. Diesmal hatte er nämlich einen Stab mitgebracht und brauchte darum nicht auf Hanimans Rücken zu klettern, um die Verstrebung zu erreichen.
    »Warte du hier auf mich!« befahl Hresh. »Ich will allein hinabsteigen.«
    »Aber ich will doch auch sehen, was dort unten ist, Hresh!«
    »Ja, das kann ich mir denken. Aber ich möchte sicher sein, daß ich von dort unten auch wieder heil herauskomme. Beim letztenmal ist die Platte von allein wieder aufgestiegen. Vielleicht passiert das diesmal nicht. Bleib also du hier, bis ich dich anrufe, dann schlage mit diesem Stab da gegen das Metall und hole mich herauf!«
    »Aber…«
    »Tu, was ich dich heiße!« sagte Hresh und versetzte der Strebe rasch einen Schlag mit dem Stab. Die Steinplatte setzte sich ächzend und stöhnend in Bewegung. Rasch warf er Haniman den Stab zu. Dieser stand mit sauertöpfischem, enttäuschtem Gesicht da, während Hresh in die Kellertiefen versank.
     Bernsteinlicht erglühte. Scharen von düsterglotzenden Gestalten an den Wänden wurden sichtbar, dieses wilde Getümmel monströser plastischer Leiber. Hresh holte unwillkürlich tief Luft vor Verblüffung, und die stechende abgestandene, so fremdartige Luft drang ihm in die Lungen.
    Vor ihm lag die Apparatur mit den Hebeln und Knöpfen. Er lief auf sie zu.
    Hastig holte er den Barak Dayir aus seinem Beutel und schlang rasch sein Sensororgan um ihn. Sogleich durchflutete die seltsame Musik des Steins seine Seele mit fernem Klingen und einem matten gedehnten Dröhnen, von scharfen ehernen Schlägen akzentuiert.
    Er begriff nun besser, wie er das Gerät zu beherrschen habe. Diesmal gab es keine Stürme. Diesmal schwebte er nicht in die Himmel hinauf, sondern weitete den Wahrnehmungsbereich horizontal nach allen Richtungen aus, so daß er sich ausbreitete, bis er die ganze Stadt Vengiboneeza umfaßte. In seinem summenden Verstand erspürte er die

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