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Am Ende des Winters

Am Ende des Winters

Titel: Am Ende des Winters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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den Finger wieder gegen den behelmten Fremdling aus und setzte eine fragende Miene auf. »Damit haben wir dir unsere Namen preisgegeben. Und nun wirst du uns den deinen nennen.«
    Doch der Behelmte schwieg weiter.
    »Das können wir den ganzen Tag so weitermachen«, sagte Harruel tief angewidert. »Uberlaß den Kerl mir, Koshmar, und ich verspreche dir, der quasselt in fünf Minuten!«
    »Nein.«
    »Aber wir müssen rauskriegen, warum der hier ist, Koshmar. Nimm doch mal bloß an, der ist der Topmann einer ganzen Heerschar von solchen wie er, die da draußen nur darauf lauern, uns umzubringen und Vengiboneeza für sich zu erobern!«
    »Ich danke dir«, sagte Koshmar eisig. »Auf solch einen Gedanken wäre ich allein nie gekommen.«
    »Ja, aber wenn er das wirklich ist? Es steht doch fast hundertprozentig fest, daß er für uns nichts als Ärger bedeuten kann. Aber wir brauchen Sicherheit. Und wenn er uns eben nichts sagen will, dann werden wir ihn eben töten müssen.«
    »Ach, glaubst du wirklich, Harruel?«
    »Wo er jetzt hier drunten war und alles in Augenschein genommen hat, und wo er weiß, wie wenige wir nur sind… ja, da können wir ihn doch nicht einfach so wieder zu seinen Leuten zurückgehen und denen alles über uns berichten lassen.«
    Koshmar nickte. Die Fakten waren ihr die ganze Zeit über längst klar gewesen, aber bloß ein dummer Ochse wie Harruel, dachte sie bei sich, kann so blöd sein und das einem Fremden, einem möglichen Feind direkt ins Gesicht sagen. Ja, vielleicht würden sie den Fremdling töten müssen. Die Vorstellung schmeckte ihr ganz und gar nicht, aber sie würde ohne Zögern das Nötige veranlassen, falls die Sicherheit ihres Stammes auf dem Spiel stand.
    Tausend widersprüchliche Gedanken wirbelten heftig durch ihren Kopf. Fremde! Ein anderer Stamm! Ein Rivale um die Führerschaft!
    Das bedeutete: Feinde, Auseinandersetzungen, Kampf, Tod, nicht wahr? Oder würden die anderen freundlich sein? Nein, ein Konflikt war nicht unvermeidbar, was immer Harruel glauben mochte. Angenommen, diese Fremden würden sich hier niederlassen? Vengiboneeza war doch zweifellos groß genug für einen zweiten Stamm… und man kam zu einer Art friedlich-freundschaftlicher Beziehung zwischen den beiden Völkern. Aber wie wird so etwas aussehen, fragte sie sich – Freunde, die nicht unseresgleichen sind? Diese beiden Begriffe schlossen einander doch fast schon aus: Freunde und Fremdrassige. Unterschiedliche Glaubensvorstellungen, fremde Götter, unvertraute Sitten und Gebräuche? Und wie sollte es überhaupt andere Götter geben können? Yissou, Dawinno, Emakkis, Friit und Mueri – das waren die Götter. Und wenn dieses fremde Volk andere Götter hatte, wo hatte die Welt dann noch einen Sinn?
    Und würde es zwischen Angehörigen der zwei Stämme Kopulationsverbindungen geben? Wo würden die Nachkommen daraus leben – im Stamm der Mutter oder dem des Vaters? Und würde einer der Stämme auf Kosten des anderen wachsen und groß werden?
    Koshmar schloß kurz die Augen und atmete tief bis auf den Grund ihrer Lungen durch. Ich wünschte, das Ganze wäre nur ein Traum, dachte sie.
    Dort, woher dieser Mann gekommen war, mußte es viele andere wie ihn geben, ein ganzes Heer, solcher Fremdlinge in einem Lager jenseits der Mauer des Gebirges. Und es war sehr wahrscheinlich, daß überall in der Welt inzwischen auch andere Stämme ihren Auszug und Aufbruch unternahmen, seitdem die neue Wärme die Luft erfüllte. Sie, Koshmar, hatte ihr ganzes bisheriges Leben in einer Welt zugebracht, die aus sechzig Leuten bestand. Es war nahezu unmöglich, sich mit der Wahrheit abzufinden, daß es auf der Welt vielleicht sechstausend, oder gar sechzigtausend ‚Leute’ geben könnte… alle die Namen, alle diese Seelen, alle diese unvertrauten Individuen, von denen jedes nach einem Plätzchen an der Sonne schrie.
    Jemand pochte an die Tür.
    Sie hörte Torlyris Stimme: »Hresh ist zurückgekommen, Koshmar.«
    »Er soll hereinkommen!« antwortete sie.
    Hresh sah seltsam aus: staubbedeckt und erschöpft – und auf einmal viel älter, als es seinen Jahren entsprach. Die Augen tief im Schatten. Er wirkte beinahe krank. Doch sobald er den Fremdling unter seinem Helm erblickt hatte, kehrte das vertraute vor Neugier glühende Hresh-Gesicht zurück. Koshmar konnte fast hören, wie sich in seinem Schädel das Prasselfeuer der Fragen entzündete.
    Rasch informierte sie ihn über die Gefangennahme und den Verlauf der bisherigen

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