Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Am Ende des Winters

Am Ende des Winters

Titel: Am Ende des Winters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
Vom Netzwerk:
eingeschlafen!
    Hresh versetzte ihm einen mentalen Puff. Droben regte sich etwas: Haniman brummte und murrte in sich hinein. Hresh empfing ein Gefühlsmuster von Haniman, der sich im Schlaf herumwälzte, sich vielleicht über das Gesicht fuhr, als wolle er einen ärgerlichen Traum fortwischen. Hresh stieß erneut zu, stärker diesmal. Haniman! Du Superarschidiot! Wach auf! Und noch einmal, noch fester. Und dann war Haniman wach. Ja, doch, da hockte er, und hatte die Augen offen. Durch Hanimans Augen sah Hresh den Boden des oberen Stockwerks. Ein absonderlicher Eindruck, so durch das Hirn eines anderen zu reagieren. Hresh wußte, daß er sich eigentlich zurückziehen müßte. Aber er blieb noch für einen Moment dort, aus lauter Neugier. Dieses Gefühl, Hanimans Bewußtsein um sich herum zu fühlen wie ein zweites Fell. Hanimans kleine Sehnsüchte und Bedürfnisse zu fühlen, seine zornigen Frustrationen. Zu entdecken, wie es sich anfühlte, damals, als feist und träge heranzuwachsen in einem Stamm, wo alle anderen schlank und agil waren. Völlig überraschend für ihn selbst fühlte Hresh eine Flut von Sympathie mit diesem Jungen in sich aufsteigen. Es war beinahe wie ein Tvinnr-Akt, und in gewisser Weise war es sogar viel intensiver und viel intimer. Seine Verärgerung über Haniman schwand deswegen nicht, aber nun war daraus so etwas wie Ärger über sich selbst geworden, eine mit amüsierter Nachsicht durchsetzte Gereiztheit.
    Dann schüttelte sich Hanimans Bewußtsein wütend frei, schubste Hresh fort, und dieser zog sich hastig zurück, und beim Abbruch des Kontakts überlief ihn ein Frösteln.
    »Hresh? Warst du das?«
    Hanimans Stimme drang schwach und verschwommen von oben herab, in vielfältige Echos gehüllt.
    »Ja. Holst du mich rauf, bitte?«
    »Warum haste denn das nicht gesagt?«
    »Ich ruf dich schon seit zehn Minuten. Hast du geschlafen?«
    »Geschlafen?« sagte die Stimme von oben. Aber Hresh konnte nicht mit Sicherheit erkennen, ob Haniman das Wort wiederholte, oder aber ob es seine eigene Stimme war, die von der Wölbung der Höhle zu ihm zurückgeworfen wurde.
    Kurz darauf gab die Steinplatte das vertraute Ächzen von sich, das knirschende Seufzen, und Hresh kletterte hastig auf sie, und sie begann sich wieder zu heben. Er lag still da. Sämtliche Knochen schmerzten ihn, so müde war er.
    Er langte oben an. Haniman stand mit über der Brust gefalteten Armen da und glotzte ihn mürrisch an.
    »Es ist mir verdammt egal, ob du der Chronist bist«, sagte er. »Wenn du mich noch einmal so anfaßt, dann ersäuf ich dich im Meer!«
    »Ich mußte aber deine Aufmerksamkeit irgendwie rankriegen. Ich hab die ganze Zeit gerufen, aber du hast nicht geantwortet.«
    »Na, dann haste vielleicht nicht laut genug gerufen.«
    »Laut genug, um Steine von der Decke der Höhle zu lösen.«
    Haniman zuckte die Achseln. »Ich hab gar nichts gehört.«
    »Ja, weil du geschlafen hast.«
    »Wirklich? Wie soll denn das möglich sein? Du warst doch kaum länger als zwei Minuten da drunten.«
    Hresh starrte ihn verblüfft an. »Meinst du das etwa im Ernst?«
    »Zwei Minuten! Nicht länger! Du bist da runtergestiegen, und ich hab mich ein bißchen hingesetzt, um auszuruhen, und vielleicht hab ich auch mal kurz die Augen zugemacht, und das nächste, was ich weiß, ist, daß du da bist und auf so ‘ne dreckige Weise in meinem Bewußtsein herumgrapschst, und…« Haniman brach plötzlich ab. Er kam auf Hresh zu und schaute ihm aus nächster Nähe ins Gesicht. »Yissou! Was hammse denn mit dir angestellt da drunten?«
    »Was meinst du?«
    »Du siehst ja aus wie hundert. Deine Augen sind ganz anders. Dein Gesicht… – alles ist anders. Wie von innen raus ausgehöhlt.«
    »Ich habe eine Vision gehabt«, sagte Hresh. Er berührte sein Gesicht und fragte sich, ob es sich wirklich so verändert hatte, wie Haniman gesagt hatte, sah er vielleicht gar aus wie der alte Thaggoran? Doch sein Gesicht fühlte sich genauso an wie immer. Wenn also eine Verwandlung eingetreten war, dann mußte sie innerlich sein.
    »Was hast du gesehen?«
    Hresh zögerte. »Dinge. Viele seltsame, fremde Dinge. Beunruhigende Dinge.«
    »Was denn?«
    »Ach, laß nur«, sagte Hresh. »Schaun wir lieber, daß wir von hier verschwinden.«
    Auf dem Rückmarsch zur Siedlung überkam ihn tiefe Müdigkeit. Er mußte oft haltmachen und sich ausruhen, und einmal wurde ihm übel, und er kniete endlos lange hinter einem Säulenstumpf und kotzte sich keuchend die Seele aus

Weitere Kostenlose Bücher