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Am Ende des Winters

Am Ende des Winters

Titel: Am Ende des Winters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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geweiteten Augen zu und schlug das Yissou-Zeichen. Und kaum hatte er den Stein berührt, da begannen die Wände wieder in hellem Licht zu erstrahlen und die gespensterhafte Luftprozession der Menschen hoch droben zog wieder dahin. Hresh sah, daß Taniane sie mit offenem Mund und ganz verdutzt beschaute. »Träumeträumer«, sagte sie noch einmal. »Sie sehen genauso aus wie er. Wie Ryyig. Wer waren sie?«
    Hresh gab ihr keine Antwort.
    »Ich glaube, ich weiß es«, sagte sie.
    »Weißt du es?«
    »Es ist eine verrückte Vorstellung, Hresh.«
    »Dann sag sie mir nicht.«
    »Aber dann sag mir doch wenigstens, was du glaubst.«
    »Ich bin nicht sicher«, sagte Hresh. »Ich bin mir in gar nichts mehr sicher.«
    »Du glaubst, was ich auch glaube.«
    »Vielleicht«, sagte er. »Vielleicht auch nicht.«
    »Nein, wir glauben beide das gleiche. Hresh, ich habe Angst.«
    Er sah, daß sich ihr Fell sträubte und daß ihre Brüste zu wogen begannen. Er wünschte, daß er den Mut aufbrächte, sie an sich zu ziehen und ganz fest an sich zu drücken.
    »Komm!« sagte er. »Wir sind lang genug hier drin geblieben.«
    Wieder ergriff er sie an der Hand und führte sie durch das Schleusentor in der Mauer. Draußen wandten sie sich beide um und blickten zurück, und danach schauten sie einander nur wortlos an. Noch nie hatte er Taniane derart erschüttert erlebt. Und in seiner Seele schwebte noch immer diese seltsame Prozession der Träumeträumer durch die Luft über seinem Kopf, geheimnisvoll, aufs höchste aufregend und quälend, zauberisch, und beschied ihn erneut mit dem Spruch, den er nicht hören wollte.
    Schweigend stiegen sie über den glitschigen gewundenen Steinpfad wieder in die Stadt hinab. Auf dem ganzen Weg zurück in die Siedlung wechselten sie nicht ein einziges Wort.
     Als sie dort anlangten, vernahmen sie zorniges Rufen, lautes Geschrei, die gellenden höhnischen Schnatterlaute der Dschungelaffen. Alles steckte voll von ihnen, zu Dutzenden schwangen sie sich kapriolend zwischen den Dächern umher.
    »Was ist denn los?« fragte Hresh, als Boldirinthe, einen Speer schwingend vorbeigerannt kam.
    »Siehste das denn nicht?«
    Weiawala, die hinter ihr angelaufen kam, blieb stehen und erklärte ihnen die Situation. Die Affen waren plötzlich aufgetaucht und hatten die papierenen Nester irgendeiner Insektenart mitgeschleppt. Diese Nester platzten auf, wenn sie auf der Erde aufschlugen, und gaben Schwärme von glitzernden langbeinigen Ekeln frei, die mit gezackten Kneifern ausgerüstet waren, die tiefe Wunden verursachten. Ihr Zubiß brannte wie glühende Kohlen, und sie ließen sich auch nicht wegreißen, sondern man konnte sie nur mit dem Messer aus der Haut herauspuhlen. Die Wanzen hatten sich über die ganze Niederlassung ausgebreitet, und die Affen ebenso, die allerdings von hoch oben herab lachten und kreischten und hin und wieder ein weiteres Insektennest herabschleuderten. Der gesamte Stamm war damit beschäftigt, sie zu vertreiben und das Stechgeziefer unter Kontrolle zu bekommen.
    Es währte Stunden, bis im Dorf wieder Ruhe einkehrte. Und dann schien keiner mehr sich Gedanken zu machen, wo Hresh gewesen war oder was er getan hatte. Noch später am selben Abend sah er Taniane ganz allein dahocken und ins Leere starren; und als Haniman zu ihr hinüberging und zu ihr redete, ließ sie ihn zornig abfahren und ging aus dem Raum.
    Auf halbem Weg den Hang des Mount Springtime, des ‚Frühlingsberges’, hinauf lag ein scharfgezähnter Felskamm, den Harruel oft als Hochsitz und Ausguck benutzte, wenn er seinen Wachdienst über Vengiboneeza erledigte. Der Kamm krängte aus der Bergflanke heraus wie eine Art Terrasse, so daß Harruel, blickte er hangaufwärts, den Sattel im Blickfeld hatte, den jede eindringende Heerschar beim Abstieg vom Gipfel würde durchqueren müssen. Aber von hier aus konnte er auch in der anderen Richtung ganz Vengiboneeza überblicken, das sich drunten vor ihm breitete, als wäre es ein Lageplan.
    Dort saß Harruel manchmal Stunde um Stunde, selbst im Regen, in der Gabelung eines gewaltigen Baumes mit schimmernder Borke und dreikantigen rötlichen Blättern. In der letzten Zeit war er mehr und wieder allein ins Gebirge hinaufgezogen. Seine frischrekrutierten Soldaten hatten sich für ihn mehr und mehr zu einem Ärgernis entwickelt, denn er erkannte natürlich, wie ungeduldig sie waren und wie stark sie daran zweifelten, daß sich jemals Eindringlinge zeigen würden.
    Oft überfielen ihn jetzt

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