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Am Ende des Winters

Am Ende des Winters

Titel: Am Ende des Winters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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auch wenn Hresh selbst nie irgendein Muster, eine Regel ausfindig zu machen vermochte, warum manche seiner Fragen an Noum om Beng diesen zum Prügeln veranlaßten, andere aber nicht. Die Frage nach dem Wesen der Götter konnte ihm an einem Tag einen Hieb eintragen, und ebenso leicht gelang dies mit der banalen und ganz unschuldigen Frage nach den Lebensgewohnheiten der Zinnobären an einem anderen Tag. Womöglich war es ja so, daß Noum om Beng schlechthin keine Fragen über irgend etwas gestellt zu bekommen wünschte; oder aber, es lag ihm daran, Hresh einfach in Unsicherheit schweben zu lassen. Und dies gelang ihm nun wahrlich gut.
    »Er schlägt dich?« fragte Taniane verwundert.
    »Das gehört zum Unterrichtsprogramm. Das hat überhaupt nichts Persönliches.«
    »Aber – es ist doch dermaßen entwürdigend. Wenn da einer jemand so richtig mit der Hand schlägt…«
    »Es ist weiter nichts als die Unterstreichung eines philosophischen Gedanken«, sagte Hresh.
    »Ach, du und deine Philosophie!« Aber Tanianes Stimme klang ganz lieb, und ihr Lächeln war warm und weich. Dann fügte sie hinzu: »Du, das verändert dich aber irgendwie, Hresh. Diese ganzen Gespräche mit dem Alten Mann.«
    »Verändert mich?«
    »Na ja, du bleibst immer so für dich, jetzt. Du redest ja kaum noch mit mir – oder mit sonstwem im Volk. Wenn du nicht bei diesem Noum om Beng bist, dann hockst du allein auf deinem Zimmer oder wanderst – wie ich mir zu vermuten gestatte – irgendwo durch die versteckten Hintergassen von Vengiboneeza. Mit uns Suchern ziehst du schon lange nicht mehr los.«
    »Koshmar will überhaupt nicht, daß wir auf Forschungsausflüge gehen, ehe wir nicht verstanden haben, was die Beng vorhaben.«
    »Ja – aber du gehst doch trotzdem. Ich weiß das. Und außerdem gehst du immer allein, und anscheinend suchst du auch gar nichts. Du strolchst bloß so ziellos herum.«
    »Woher willst du denn das wissen?«
    »Weil ich dir ein paarmal heimlich gefolgt bin«, sagte Taniane mit einem unverschämten Lächeln.
    Er zuckte die Achseln, fragte aber nicht, warum sie dies getan habe, und so versandete ihr Gespräch. Vor dem Wahrheitsgehalt ihrer Rede allerdings konnte er sich nicht verschließen. In seiner Seele fanden Veränderungen statt, die er keinem anderen mitzuteilen zu können glaubte, da er sie ja kaum selbst begriff. Dies hing mit der Offenbarung des Lebensbaumes zusammen, wodurch Hresh so schlüssig bewiesen worden war, daß das Volk nicht das Recht hatte, sich für Menschen zu halten, und mit der Ankunft der Beng, mit dem Abfall Harruels und der Gesamtsituation des Stammes in Vengiboneeza… und mit vielem anderem, nicht zuletzt mit seiner privaten Beziehung zu Taniane, beziehungsweise eben dem Nichtvorhandensein einer solchen. Aber es war einfach zuviel, als daß er sich damit gleichzeitig hätte auseinandersetzen können. Wie hatte Torlyri einmal zu ihm gesagt? Keiner kann gleichzeitig mit zwei monströsen Sachen fertigwerden, oder?
    Und nun näherte er sich wieder einmal dem Gemach des Noum om Beng, und um seine Brust schnürte sich ein Reifen von Unruhe und Unbehagen, und in seinem Magen zuckte es. Diese Besuche entwickelten sich für ihn mehr und mehr zu einer Belastung. Zu Beginn war es nicht so gewesen. Aber das war viele Monde her. Damals war ihm Noum om Beng nur als ein seltsam fremdartiger verschrumpelter alter Mann erschienen, zerbrechlich und uninteressant und sonderbar. Er hatte für Hresh nichts weiter bedeutet als eine Ablagerung von ihm vertrautem Wissen, ein Fossil, eine Art Schriftenlade, die nur auf ihn wartete, daß er sie öffne und die Texte entziffere. Aber seit sie die Sprache des jeweils anderen zu sprechen vermochten, hatte Hresh allmählich mehr und mehr begriffen, wie Noum om Beng in Wahrheit war; er hatte die geistige Tiefe und Kraft des Mannes erkannt, auch seine eisige Nüchternheit und Kargheit, und es gelang ihm einfach nicht, ein Gefühl der ängstlichen Bestürzung zu unterdrücken, wenn er daran dachte, daß er diesem Mann seine Seele und sein Bewußtsein bloßlegen sollte. Seit Thaggorans Lebenstagen war Hresh keinem begegnet, der auch nur entfernt wie Noum om Beng gewesen wäre; und Thaggoran war eine ihm viel zu nahe vertraute Gestalt gewesen, und Hresh selber war viel zu jung gewesen, als daß irgend etwas in ihren Gesprächen ihm hätte Angst machen können. Aber jetzt mit Noum om Beng war dies anders. Dieser eröffnete Hresh unbegreifliche neue Welten, und das war durchaus

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