Am Ende des Winters
wir uns nicht viel um unsere Suche gekümmert, nicht wahr? Aber vor ein paar Nächten war ich allein unterwegs. Ich habe ganz am anderen Ende der Stadt ein neues Lagerhaus entdeckt. Die Beng haben mich erwischt, ehe ich hineinkonnte – ich bin mir nicht sicher, ob sie schon wissen, was es dort alles gibt, aber auf jeden Fall wollen sie uns von dort fernhalten. Und so etwas können wir natürlich nicht durchgehen lassen. Komm, wir gehen zusammen dorthin! Und dann schauen wir uns einmal an, was es dort drinnen gibt. Ja? Alles klar, Taniane?«
»Alles klar, sicher«, sagte sie. »Wann?«
»In einem Tag, in zweien. Bald.«
»Ja. Bald.«
Er streckte die Arme nach ihr aus, und sie dachte schon, er wolle erneut tvinnern; doch er wollte sie nur umarmen, und danach sprang er sogleich auf und streckte ihr die Hand hin, um auch ihr aufzuhelfen. Er müsse dringend Koshmar sprechen, sagte er. Die Sachen müßten diskutiert werden. Und außerdem stünden noch weitere wichtige Aufgaben an. Immer Aufgaben, immer Dinge, die er besprechen mußte. Und schon war er fort, und sie stand allein da und konnte nur den Kopf schütteln.
Hresh, dachte sie bei sich… wie seltsam du doch bist, Hresh! Aber – wie wundervoll, voller Wunder!
Der Kopf wirbelte ihr. Nicht-menschlich – wir müssen uns zu Menschlichen machen, uns vermenschlichen – wir müssen aufbauen – in Berührung sein mit der Vergangenheit und der Zukunft gleichermaßen…
Dann wanderte sie zum Hauptplatz der Siedlung und stand einfach so da und versuchte, ruhiger zu werden. Jemand näherte sich ihr von hinten. Haniman.
»Du komm und tvinnre mit mir«, flüsterte er.
»Nein.«
»Immer sagst du nein.«
»Bitte laß mich in Ruhe, Haniman!«
»Dann komm wenigstens kopulieren.«
»Nein!«
»Nicht einmal das?«
»Laß mich zufrieden, ja!«
»Was ist denn los, Taniane? Du wirkst so bedrückt.«
»Bin ich.«
»Aber sag mir doch, was dich bekümmert.«
»Laß mich in Ruhe!« sagte sie.
»Ich will doch bloß versuchen, was zu tun, damit du dich besser fühlst. Das ist eine alte Sitte bei uns Menschen, weißt du nicht? Frau in Not – Mann kommt und bietet Notnagel.«
Sie funkelte ihn zornig und erbittert an. »Wir sind keine Menschen!« schrie sie.
»Was?«
»Hresh sagt es. Und er hat die Beweise dafür. Wir sind nichts weiter als Tiere, genau wie die Wächter am Tor es gesagt haben. Die Träumeträumer waren die Menschlichen, und sie sind jetzt alle tot. Du bist weiter nichts als ein Affe mit einem größeren Gehirn, und ich ebenso, Haniman. Geh doch und frag Hresh, wenn du mir nicht glaubst! Und jetzt geh weg und laß mich in Frieden, ja? Laß mich in Ruhe! Laßt mich alle in Ruhe!«
Haniman konnte sie nur verdattert anstarren.
Dann wich er rückwärts von ihr fort. Taniane, eine Hand auf den Mund gepreßt, schaute ihm nach.
Im Dämmer der Kapelle, in den Rauchschwaden des schwelenden Feuers sah Koshmar maskierte Gestalten vor sich auftauchen. Diese da, mit dem schrecklich kriegerischen Schnabel, war Lirridon. Das war Nialli, die schwarz-grüne Maske mit der Wehr blutroter Stacheln. Und hier Sismoil, gesichtslos, rätselhaft. Und da, Thekmur. Und dort Yanla. Und hier York.
Sie klammerte sich an die Altarkante, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Ein eisiger Schweiß war ihr am Leib ausgebrochen, und hinter ihrem Brustbein verspürte sie einen brennenden Schmerz. Ihre Kehle war ausgetrocknet, und sie wußte, daß diesen Durst nicht einmal ein Ozean würde stillen können.
»Koshmar«, sagte Thekmur. »Arme traurige Koshmar.«
»Arme bemitleidenswerte Koshmar«, sagte Lirridon.
»Wir weinen Tränen um dich, Koshmar«, sagte Nialli.
Sie blickte starr zu den überheblichen Gestalten hin, die vor ihr auf und ab stolzierten, und schüttelte erbost den Kopf. Das Letzte, was sie sich von ihren dahingeschiedenen Vorgängerinnen erwartete, wäre Mitleid gewesen.
»Nein!« sagte sie, und ihre Stimme drang kaum aus ihrer Kehle, war nur ein heiseres hohles Röcheln. »Derlei dürft ihr mir nicht sagen!«
»Komm, geselle dich zu uns, Koshmar!« sagte Yanla, die vor so vielen Jahren Häuptling gewesen war, daß nichts als ihr Name und ihre Maske die Erinnerung an sie am Leben erhielt. »Komm und bette dich in unsere Arme! Du warst lang genug Führerin und Häuptling.«
»Nein!«
»Ruhe dich aus bei uns!« sagte York. »Schlafe in unserem Schoß und erfahre die Freude des Friedens für immer!«
»Nein!!!«
Thekmur, die ihr wie eine zweite Mutter gewesen
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