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Am Ende des Winters

Am Ende des Winters

Titel: Am Ende des Winters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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denn in letzter Zeit hatte Harruel Posten auf dem Kraterrand aufgestellt, die Tag und Nacht Ausschau hielten.
    »Hjjks!« schrie Bruikkos und kam kopfüber auf dem Kraterpfad in die Stadt gestürzt. »Da kommen sie! Es sind Millionen!«
    Salaman nickte. Es war ihm, als brenne ein eisiger Stein in seiner Brust. Aber eigentlich fühlte er nichts: keine Furcht, keine Kampfeslust, keinen Stolz, daß seine Prophezeiung sich erfüllt habe. Nichts, einfach nur nichts. Er hatte diesen Augenblick schon viel zu viele Male vorher durchlebt.
    Weiawala klammerte sich zitternd an ihn und klagte: »Was wird mit uns sein? Werden wir allesamt sterben müssen, Salaman?«
    Er schüttelte den Kopf. »Nein, Liebste. Jeder von uns wird zehntausendmal tausend Hjjks töten, und die Stadt wird gerettet werden.« Seine Stimme klang gleichgültig und gefühllos. »Wo ist mein Speer? Und schenke mir Wein ein, süße Weiawala. Wein bewirkt, daß Harruel besser kämpft; vielleicht wirkt er auch auf mich so.«
    »Die Hjjks!« kam von draußen heiseres Gebrüll. Bruikkos schlug gegen Türen und hämmerte gegen Wände. »Die Hjjk nahen! Sie sind da! Sie sind schon da!«
    Salaman trank einen mächtigen Schluck des dunklen kühlen Weines, umgürtete seine Lenden mit seinem Schwert und griff nach seinem Speer. Auch Weiawala bewaffnete sich: es gab an diesem Tag keinen, der nicht kämpfen würde – außer den ganz kleinen Kindern, die man an einen Ort abseits gebracht hatte, wo sie aufeinander achthaben sollten. Seite an Seite verließen Salaman und Weiawala ihr kleines Haus.
    Es war ein Tag mit einem kalten Hauch in der Luft, der erste solche, nach einer langen Periode mit feuchtwarmem Wetter. Aus dem Norden blies ein kräftiger Wind. Er trug einen Geruch von trockener Schärfe mit sich, den Hjjk-Geruch, beklemmend und aufdringlich, einen Geruch nach altem Wachs und rostendem Metall und toten zerbröselnden Blättern; und unter diesem stechenden Geruch lagerte ein weiterer, üppig, schwer und voll, der satte Moschusduft von Zinnobären, in den der Hjjk-Geruch verwoben war, wie scharfe scharlachrote Metallfäden grell in eine schwere Wolldecke gewirkt.
    Harruel kam in voller Wehr und Rüstung aus seinem halbniedergebrannten Palast gehumpelt. Seit dem ersten Hjjk-Überfall hatte Harruel es sich angelegen sein lassen, stets und überall hin in dieser klobig-unbeholfenen Manier eines im Kampf verwundeten Helden zu wanken; soweit allerdings Salaman wußte, war die einzige Verwundung, die Harruel abbekommen hatte, an seinem Oberarm gewesen. Und die Wunde war schlimm genug gewesen; doch Minbain hatte sie mit Kräutern und heißen Breiumschlägen gut behandelt, so daß die Wunde inzwischen zu einer gezackten roten Narbe in Harruels dichtem Pelz verheilt war.
    Salaman fragte sich allerdings, ob Harruel an jenem Tag vielleicht eine andere Wunde davongetragen habe, eine viel tiefere Verletzung, vielleicht seines Herzens, die ihn dermaßen gelähmt und verkrüppelt hatte. Eines stand jedenfalls fest, seit damals war er noch düsterer geworden, noch grimmiger als sonst, und er bewegte sich auf diese merkwürdige neue ruckartige Weise voran, als verfügte er nicht länger über genügend Seelenstärke und Willenskraft, um seine Hüftbeine gerade zu halten.
    Doch als er jetzt Salamans ansichtig wurde, verzog Harruel das Gesicht zu einem breiten Grinsen und winkte ihm beinahe fröhlich-herablassend zu. »Mann, riechste den Gestank? Bei Yissou, ehe die Nacht hereinbricht, werden wir die Luft davon wieder befreit haben, Salaman!«
    Die Aussicht auf einen Kampf schien Harruels Seele heiterer gestimmt zu haben. Salaman nickte ihm beipflichtend zu und hob seinen Speer zu einer halbherzigen Solidaritätsbekundung.
    Harruel schien Salamans Gleichgültigkeit bemerkt zu haben. Denn der König humpelte zu ihm herüber und schlug ihn herzhaft auf den Rücken; es war ein Schlag von derart knochenerschütternder Heftigkeit, daß Salamans Augen vor Zorn blitzten und er den Hieb beinahe mit gleicher Wucht zurückgegeben hätte. Aber Harruel beabsichtigte weiter nichts, als ihn zum Kampf zu ermuntern. Er lachte. Sein Gesicht war vor Erregtheit ganz rot angelaufen und hing hoch über dem Salamans.
    »Wir werden sie alle umbringen, alter Junge! Wie? Was! Dawinno soll sie holen, wir werden diese Kakerlaken millionenweise zerquetschen! Meinste nicht auch, Salaman? Du hast das schon lang kommen sehen, wie? Also, dein Zweites Gesicht, ehrlich, die reinste Zauberei! Sag mal, siehste

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