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Am Ende des Winters

Am Ende des Winters

Titel: Am Ende des Winters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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Auch da war noch immer alles kahl. Und so zog er noch weiter fort.
    Die Nacht trat nun sehr rasch ein, und gewaltige ausgezackte Streifen lodernder Farben – üppiges Purpur und heftig pulsierendes Scharlachrot und ein düsteres schweres Gelb – machten den westlichen Himmel schön und schrecklich zugleich. In seinem Rücken war bereits alles schwarz geworden, eine betäubende, alles verschlingende Dunkelheit, die nur von der trübe flackernden rauchigen Fackel des Lagerfeuers unterbrochen war.
    Hresh kroch vorsichtig noch ein Stück weiter um einen Felsvorsprung herum. Er wußte, was er da tat, war unbedacht. Er entfernte sich sehr weit vom Lagerplatz. Zu weit, vielleicht. Er konnte von hier aus den Gesang kaum noch wahrnehmen, und als er einen Blick über die Schulter warf, befand sich kein anderes Stammesmitglied in Sicht.
    Trotzdem streunte er weiter und weiter durch die geheimnisvolle schauerliche Weite ohne Wände und ohne Gänge, über der der dunkle Himmel sich wie eine bestürzende offene Kuppel wölbte, die über alles Verständnis hinaus – und hinaufreichte bis zu den fernen Sternen, die vom Dach des Himmels hingen.
    Er mußte alles sehen. Denn wie sonst sollte er verstehen können, wie die Welt beschaffen war?
    Und alles sehen zu wollen, das hieß natürlich, daß man sich gewissen Gefahren aussetzen mußte. Aber schließlich war er ja Hresh-der-Fragesack, der Immer-Neugierige, und so lag es eben in seiner Natur als der unersättliche Frager, ungeachtet der Gefahren nach Antworten zu suchen. Es ist achtbar und höchlichst ehrenwert, dachte er, eine derart unruhige forschende Seele zu haben wie ich. Noch verstanden es die anderen an ihm nicht, da er ja noch ein Kind war. Doch eines Tages würden sie begreifen, das gelobte er sich.
    Er glaubte, in der Ferne Stimmen zu hören, die vom Wind zu ihm herübergetragen wurden. Erregung stieg in ihm empor. Wenn er nun direkt da vorn den Lagerplatz eines anderen Stammes entdeckte?
    Die Vorstellung ließ ihn unbesonnen werden. Der Alte Thaggoran behauptete doch stets, daß es andere Stämme gäbe, daß es Kokons wie den ihrigen überall auf der Welt gäbe; und – wußte Thaggoran nicht alles, oder doch beinahe alles! Aber keiner, nicht einmal Thaggoran, konnte wirklich mit Bestimmtheit wissen, ob dies auch wahr sei. Hresh wünschte sich, es möge so sein, er wollte es glauben: Dutzende, Hunderte gar von kleinen Stammesgruppen, alle in ihrem eigenen kleinen Kokon, und sie warteten Generation um Generation auf den Zeitpunkt des Aufbruchs, des Auszugs. Jedoch existierten keinerlei Beweise dafür, außer natürlich denen in der Chronik. Mit Gewißheit hatte nie ein Kontakt mit einem fremden Stamm stattgefunden, jedenfalls nicht seit den ersten frühen Tagen des Langen Winters. Wie hätte das auch sein sollen, wo doch keiner jemals den Heimatkokon verließ?
    Doch jetzt war der Stamm Koshmars auf dem Marsch in die offene Welt. Und es war gut möglich, daß es hier draußen noch weitere Stämme gab. Eine faszinierende Vorstellung für Hresh. In den ganzen acht Jahren seines Lebens hatte er immer nur die gleiche Gruppe von sechzig Leuten gekannt. Hin und wieder wurde es einem Neuen erlaubt, geboren zu werden, dann nämlich, wenn einer von den Alten die Altersgrenze erreicht hatte und zur Luke hinausgedrängt wurde, um zu sterben – aber davon abgesehen waren es stets die gleichen Leute tagaus, tagein: Koshmar und Torlyri und Harruel und Taniane und Minbain und Orbin und die ganzen andern. Die Vorstellung, er könnte auf einen Trupp völlig andrer Menschen stoßen, war wundervoll.
    Hresh versuchte sich auszumalen, wie sie aussehen würden. Vielleicht hatten sie gelbe Augen und einen grünen Pelz. Und vielleicht gab es Männer, die noch größer waren als Harruel. Und ihr Führer würde keine Frau sein, sondern ein junger Knabe. Und warum auch nicht? Es war doch ein andersartiger Stamm, oder? Die würden natürlich alles anders machen. Anstelle eines Alten Mannes im Stamm würden die drei Alte Frauen haben, die auf hellen Bögen von Grasglas die Chronik führten und unisono redeten. Hresh lachte. Und andere Namen als wir, ja, die würden sie auch haben. Sie heißen so irgendwie Migg-wungus und Kik-kik-kik und Pinnipoppim, entschied er, eben Namen, wie sie noch keiner je in Koshmars Stamm gehört hatte. Ein andrer Stamm! Sagenhaft!
    Hresh bewegte sich inzwischen weniger vorsichtig weiter. In seiner Begierde, zum Ursprung der Stimmen vor ihm vorzustoßen, begann er sogar

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