Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Am Ende des Winters

Am Ende des Winters

Titel: Am Ende des Winters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
Vom Netzwerk:
achteten sie diesmal auf ihn.
    »Wo waren sie?« verlangte Koshmar zu wissen. »Wieviele? Wie groß?«
    Harruel gab alle – außer an die kleinsten Kinder – Speere aus. Thaggoran hockte am Feuer und richtete sein Sensororgan über den Trockensee, um die Ausstrahlung der Rattenwölfe zu ertasten.
    »Sie kommen«, rief er Alte. »Ich spüre sie, sie kommen auf uns zu!«
    Koshmar, Torlyri und Harruel bezogen Schulter an Schulter mit den griffbereiten Speeren an der westlichen Flanke des Lagers Stellung. Großartig sehen sie aus, dachte Hresh: die Stammesführerin, die Priesterin, der gewaltige Krieger. Neun weitere standen hinter ihnen, und hinter diesen eine weitere Reihe von neun Kämpfern, in deren Mitte sich die Kinder und die schwangeren Frauen drängten.
    Hresh hörte, wie Koshmar die Fünf Himmlischen anrief, sah, wie sie die Fünf Zeichen schlug und danach das Zeichen Yissous des Beschützers immer und immer wieder von neuem. Auch er selbst murmelte ein Stoßgebet zu Yissous. Er als einziger im Stamm hatte die Rattenwölfe gesehen, ihre langen Schnauzen, die wilden kleinen Augen, die klingenscharfen Zähne.
    Es trat ein langer Moment ein, in dem nichts geschah. Die Krieger, die den Zugang zum Lager bewachten, stapften in dichten Kreisen herum. Hresh begann sich zu fragen, ob er dort draußen in der Finsternis die Rattenwölfe vielleicht nur geträumt habe. Und er überlegte sich auch, wie streng Koshmar ihn bestrafen würde, sollte sich die Sache als ein falscher Alarm erweisen.
    Aber dann war plötzlich der Feind über ihnen. Hresh hörte entsetzliche schrille pfeifende Schreie, und er roch einen merkwürdigen abscheulich dumpfigen Gestank; und einen Augenblick darauf, war der Feind ins Lager eingebrochen.
     »Yissou!« brüllte Koshmar. »Dawinno!«
    Die Rattenwölfe kamen gleichzeitig von allen Seiten heran, sie heulten gellend, sie sprangen, sie knurrten, ihre Zähne blitzten.
    Frauen begannen zu kreischen, auch ein paar der Männer. Keiner hatte je solche Tiere gesehen, Tiere, die sich von lebendigem Fleisch nährten und ihre Zähne als Waffe benutzten. Und keiner vom Volk hatte jemals vorher auf diese Weise kämpfen müssen, in einem echten Kampf, nicht nur eine kleine gesellschaftliche Rangelei unter Freunden, sondern ein Kampf ums Überleben. Im Kokon war es so einfach gewesen, so leicht, so sicher. Doch sie waren nicht länger im Kokon.
    Das Wolfsrudel kreiste und kreiste um sie, als versuche es, die schwächeren Stammesangehörigen auszusondern und von den anderen zu trennen. Der säuerlich-faule Gestank der Feinde hing schwer in der Luft. Im flackernden Feuerschein sah Hresh die roten Knopfaugen, die langen kahlen Sensororgane, und sie sahen genauso aus, wie er sie im Zweiten Gesicht vor kurzem gesehen hatte, nur vielleicht noch widerwärtiger und abstoßender. Was für scheußliche Wesen, was für Ungeheuer!
    Er wich zum Kern der Gruppe zurück, er streckte den Speer vor sich hin, den Harruel ihm gereicht hatte, aber er wußte nicht so recht, was er damit beginnen sollte. Da packte man ihn an, ja? Und dann stößt man, wie – nach oben? Na, soll mal ein Rattenwolf mir nahe kommen, dann werde ich es schon ganz schnell raushaben, sagte er sich.
    Die gewaltige Gestalt Harruels hob sich vor der Dunkelheit ab, er stieß, er grunzte und stieß erneut zu. Und dort war Torlyri und hielt sich tapfer mit kräftigen Tritten einen Rattenwolf vom Leib, während sie einen zweiten mit der Speerspitze aufspießte. Lakkamai kämpfte gut, auch Konya und Staip. Salaman, der nicht viel länger war als Hresh selbst, streckte zwei zu Boden, mit nur zwei aufeinanderfolgenden Hieben seiner Waffe. Koshmar schien überall gleichzeitig zu sein, und sie setzte nicht nur die scharfe Spitze ihres Speeres ein, sondern auch das stumpfe Ende und rammte es mit blutlüsterner Wonne diesem und jenem Wolf ins zähnefletschende Maul. Hresh hörte schreckliches Geheul. Die Rattenwölfe riefen einander zu, fast in einer Art Sprache: »Kill-kill-kill-Fleisch-Fleisch-Fleisch…«. Und ein Mensch stöhnte vor Schmerzen; und ein anderer stieß ein tiefes angstvolles Wimmern aus.
    Und dann, so blitzartig, wie er begonnen hatte, schien der Kampf vorbei zu sein.
    Von einem Augenblick zum nächsten wurde alles still. Harruel stand auf seinen Speer gestützt da, atmete heftig, wischte sich ein blutiges Rinnsal immer wieder ab, das aus seinem Schenkel sickerte. Torlyri lag auf den Knien, von Entsetzen geschüttelt, und sagte unablässig den

Weitere Kostenlose Bücher