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Am Ende des Winters

Am Ende des Winters

Titel: Am Ende des Winters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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Kampfgetümmel und brüllte allen ermutigend zu. Noch immer war aus der Ferne das dröhnende Brüllen der Maulköpfler vernehmbar, und darüber schrillten die kreischenden Schreie der Blutvögel.
     Der Kampf dauerte zehn Minuten. Dann verzogen sich die Vögel ebenso rasch, wie sie erschienen waren. Der Stamm hatte sechs Verwundete, darunter Delim am schwersten verletzt. Torlyri verband ihr das Auge, aber sie würde damit nie wieder sehen können. Harruel hatte zwei tiefe Schnitte am Speerarm davongetragen. Auch Konya war verwundet worden. Allesamt waren sie erschöpft, bedrückt und mutlos.
    Und zu allem brach auch noch die Nacht herein. Die letzten Lichtströme der sterbenden Sonne tauchten das flache Land in eine scharlachrote Flut.
    »Ja also«, sagte Koshmar. »Es ist zu spät, um weiterzumarschieren. Wir schlagen hier das Lager auf.«
    Harruel schüttelte den Kopf. »Nicht hier, Koshmar. Wir müssen erst etwas weiter wegkommen von diesen Mäulerbiestern. Hörst du sie nicht? Ihr Gebrüll ist gefährlich. Wenn wir hierbleiben, passiert es uns, daß die Leute in der Nacht davonlaufen und wie Schlafwandler mitten in deren Rachen stolpern.«
    »Meinst du das im Ernst?«
    »Wir haben so beinahe Hresh verloren«, sagte Harruel. »Der ist einfach direkt auf eins von den Dingern zugewankt.«
    »Yissou!« Stirnrunzelnd betrachtete Koshmar eine Weile die großen Schädel am Horizont. Dann spuckte sie aus und sagte: »Also gut. Ziehen wir weiter!«
    Sie marschierten weiter, bis die Finsternis sie zum Anhalten zwang. Das Röhren der großen Maulköpfe war hier nur noch sehr leise vernehmbar. An einem Platz, wo aus dem Sand ein dünnes Wasserrinnsal brach, sank das Volk erleichtert zur Ruhe nieder.
    »Es war ein Fehler«, sagte Staip leise.
    »Daß wir aus dem Kokon ausgezogen sind, meinst du?« fragte Salaman. »Du glaubst, wir hätten bleiben sollen? Versuchen sollen, es mit den Eisfressern aufzunehmen?«
    Harruel fuhr sie wütend an. »Es war richtig, daß wir den Auszug gemacht haben«, sagte er mit fester Stimme. »Da kann es überhaupt gar keinen Zweifel geben, daß es die richtige Entscheidung war.«
    »Was ich meine«, sagte Staip, »ist, daß wir in diese Richtung ziehen. Koshmar hat nicht recht getan, daß sie uns in diese elenden Ebenen führt. Wir hätten uns südwärts wenden sollen, dem Schein der Sonne zu.«
    »Ach, wer weiß?« sagte Harruel. »Eine Richtung ist so gut wie die andere.«
    Im Dunkel der Nacht gab es beständig fremdartige unheimliche Geräusche: Zischen, Schnattern, Schrillen. Und das unablässige bohrende Röhren der Großmäuler in der Ferne, die ihren gierigen Hungergesang hinausgrölten, während sie am Fuß der kahlen Berge lauerten, bis ihre wehrlose Beute zu ihnen kam.
    Es war die fünfte Woche der Wanderschaft. Torlyri war wie üblich bei Tagesanbruch aufgestanden, um das Opfer zum Sonnenaufgang darbringen zu können, und rollte, räkelte und streckte sich nun, ehe sie tapsig auf die Beine kam. Die Frühsonne badete sie in angenehme Wärme. Leise verließ sie den Lagerplatz, wo alle anderen noch schliefen, und spähte umher, bis sie einen passenden Fleck für ihr Opfer gefunden hatte: ein kleines Stück gen Westen. Es schien so, als sei da ein geheiligter Ort: ein kleiner Abhang, abgeschirmt, an dem Tausende von kleinen rotrückigen Insekten emsig mit dem Bau einer komplizierten türmebestückten Konstruktion über dem Sandboden beschäftigt waren. Also kniete sie daneben nieder, sprach die Worte, rief die Namen an, bereitete die Opfergaben.
    Die frühe Morgensonne fühlte sich warm an, stark, angenehm. Während der paar letzten Tage war Torlyri aufgefallen, daß das Wetter irgendwie mehr und mehr angenehm geworden war. In den ersten Tagen war sie stets in einem kalten Dunst und zitternd und steif an jedem Morgen erwacht; jetzt aber kam ihr die Morgenluft milder und weicher vor, wenn auch nicht gerade schon wirklich mild und weich.
    Trotzdem, es war ein Anzeichen für etwas, und es löste Hoffnung in ihr aus. Vielleicht war dies wahrhaftig der Neue Frühling… trotz allem.
    In dem Punkt war Torlyri nämlich nie so ganz sicher gewesen. Genau wie alle übrigen Stammesmitglieder hatte sie sich von Koshmars hartnäckigem Optimismus fortreißen und aus dem Kokon wegreißen lassen. Aus Liebe zu Koshmar hatte sie ihre starken Bedenken nicht laut vorgebracht, aber sie wußte, es gab eine Gruppe im Stamm, die es vorgezogen hätte, wenn man im Kokon geblieben wäre. Dieser Auszug war ein

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