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Am Ende des Winters

Am Ende des Winters

Titel: Am Ende des Winters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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Hände der Mutter, dem Vater und Torlyri entgegen, genau wie das Ritual es verlangte. Dann trat er zu einer jeden der anwesenden Frauen, zu einer nach der andern, sogar vor seiner Mutter, Minbain, und berührte sie mit einer segnenden Geste an beiden Wangen. Das allerdings hatte Torlyri noch nie zuvor gesehen; Hresh mußte es selbst erfunden haben, oder aber er hatte einen uralten Ritus Wiederaufleben lassen, von dem er Beschreibungen in seinen Büchern gelesen hatte. Vor Torlyri trat er zuletzt und berührte auch ihre Wangen in gleicher Weise. Seine Augen leuchteten. Was muß das für ein großartiger Augenblick für ihn sein, dachte sie. Unser kindhafter Chronist, unser seltsamer kleiner Hresh-Fragesack, der auf einmal zugleich Mann war und Kind, ein Mann im Körper eines Kindes. Und sie dachte an jenen Tag im Kokon zurück, als sie ihn an der Luke gepackt hatte, ehe er fliehen konnte, und sie erinnerte sich wieder an das Entsetzen in seinen Augen, als sie ihm sagte, daß er vor Koshmar gebracht und gerichtet werden mußte. Und wie grundlegend hatte sich seit damals alles für sie alle verändert! Da stand dieser Hresh (derselbe Hresh?) und verkündete der Welt, in einem Land, das weit, weit vom Kokon entfernt lag, die Geburt eines neuen Thaggoran – und mit dem gleichen feierlichen Ernst, wie ihn der alte Chronist besessen hatte.
    Hinterher zog Hresh sie beiseite und fragte: »Hab ich es gut hingekriegt? Habe ich alles richtig gemacht?«
    »Du warst großartig, hinreißend«, sagte sie zu ihm. Und in einer Gefühlsaufwallung riß sie ihn in ihre Arme, hob ihn hoch und preßte ihn an die Brust, und küßte ihn trotz der strampelnden Beine zweimal.
    Der Vorfall schien ihn zu verwirren. Als sie ihn wieder zu Boden setzte, warf er ihr einen merkwürdigen Blick zu und begann sogleich mit dem unübersehbaren Ausdruck verletzter Würde sein Fell zu glätten. Aber als sie ihm dann lächelnd und mit einer ihm anscheinend willkommeneren Zärtlichkeit die Arme auf die Schultern legte, verlor sich der verstörte Ausdruck der Abwehr allmählich. Niemand konnte schließlich Torlyri gegenüber lange grollen.
    »Da ist noch eine Zeremonie, die wir bald schon durchführen müssen«, sagte Hresh.
    »Das Kind von Nettin?«
    »Ja, das auch. Aber ich spreche eigentlich von mir.«
    »Und was ist das?« fragte Torlyri.
    »Mein eigener Namenstag«, sagte er. »Ich werde bald neun sein, weißt du.«
    Sie kämpfte gegen das Lachen an, vermochte es nicht zu unterdrücken und lachte schließlich schallend los.
     Hresh starrte sie von neuem erzürnt an.
    »Hab ich was Komisches gesagt?«
    »Nein, das ist nichts Komisches, Hresh, gar nicht – nur… nur…« Sie mußte wieder lachen. »Verzeih. Es ist nicht richtig von mir…«
    »Ich verstehe dich nicht«, sagte Hresh.
    »Dein Namenstag. Du bist der Alte Mann des Stammes, und du hast gerade selbst einem Kind einen Namen gegeben. Und du hast noch nicht einmal deinen eigenen Namenstag gehabt! Ach, Hresh, Hresh, wir leben wahrlich in seltsamen Zeiten!«
    »Trotzdem, es ist meine Zeit«, sagte er.
    Sie nickte. »Stimmt. Du hast absolut recht, Hresh. Ich will heute nachmittag mit Koshmar darüber sprechen. An welchem Tag soll es sein, weißt du das?«
    Trübselig sagte er: »Ich bin mit der Zählung durcheinander, Torlyri. Bei all den Wochen und Monden der Wanderung ist der Tag möglicherweise schon vorbei. Seit ein paar Tagen.«
    »Na ja, das spielt weiter keine Rolle. Ich rede jedenfalls mit Koshmar«, versprach sie ihm.
    Wie die passende Verfahrensweise beim Tag der Namensgebung in diesen neuen Lebensumständen sein sollte, das war sowohl für Torlyri wie auch für Koshmar ein Rätsel. Denn seit dem Auszug aus dem Kokon hatte sich kein Anlaß für eine solche Zeremonie geboten.
    In den Zeiten des Kokons war der Tag der Namensgebung der Tag, mit dem ein Kind offiziell in den Erwachsenenstatus eintrat, und es war einer der drei geheiligten Tage gewesen, an denen ein Stammesangehöriger über die Schwelle treten und sich kurz in der Äußeren Welt aufhalten durfte. Einzig von der Opferfrau begleitet, stolperte dabei das zitternde neunjährige Kind durch die Schleusenluke, rief den Namen, den er oder sie von nun an zu tragen beschlossen hatte, und dann folgten – obwohl völlig benommen vom Anblick des Kliffs und des Flusses und der offenen Himmelsschale, von den angehäuften ausgebleichten alten Gebeinen und wie betrunken von der scharfen kalten Luft – die Kleinen der Tradition und boten den

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