Am Ende zählt nur das Leben
durcheinander. Im Wohnzimmer stand der Baum, überall lagen Geschenke und buntes Papier herum. Es duftete nach Kerzen und Lebkuchen. Im Hintergrund spielte Weihnachtsmusik, und alle plapperten durcheinander.
»Ist das laut hier. Das halte ich nicht aus«, flüsterte Cay mir zu, aber meine Mutter hörte es trotzdem. Vermutlich hätte sie ihm gern gesagt, dass Kinder nun einmal laut sind und es bei ihnen keinen Knopf zum Abstellen gibt, aber es war Weihnachten, und so ließ sie sich nichts anmerken.
Die angespannte Lage schweißte Cay und mich zusammen. Bei seinen Eltern fühlte ich mich nicht willkommen, und meine Familie war durch Cays Verhalten irritiert und voller Skepsis. In Stuttgart ging es uns eindeutig besser. Dort war der richtige Raum für unsere Zweisamkeit.
Zu Hause bekam ich zunehmend das Gefühl, meiner Familie beweisen zu müssen, dass ich mir den richtigen Mann ausgesucht hatte. Zwar akzeptierten sie Cay, aber ich spürte trotzdem, dass er ihnen fremd war, so wie auch umgekehrt. Vielleicht war es das, was mich ihm noch näherbrachte. Ich war glücklich mit ihm, und noch immer gefiel es mir, dass er so konsequent anders war als meine Familie. Er war mein Freund, und ich war stolz auf ihn.
Umzug
Cay und ich waren seit einem Jahr ein Paar, als ich meine Ausbildung vorzeitig beendete und meine Urkunde erhielt. In gewisser Weise war ich nun frei und konnte tun und lassen, was ich wollte. Dieses Gefühl war wunderbar. Und ich war verliebt in Cay. Er war der Mann in meinem Leben geworden, mit ihm wollte ich die Zukunft teilen.
Weiterhin unternahmen wir regelmäßig Kurzreisen übers Wochenende. Cay fiel immer wieder ein lohnendes Reiseziel ein. Wir waren ständig unterwegs und pendelten zwischen den unterschiedlichsten Orten hin und her. Einmal flogen wir sogar für einen Kurzaufenthalt nach Mallorca, weil Cay angeblich wieder ein Supersonderangebot ausfindig gemacht hatte, das mir kein schlechtes Gewissen wegen der Kosten machte.
Für mich waren all diese Reisen etwas Neues, sie waren aufregend und brachten mich aus meinem gewohnten Umfeld heraus. Dabei konnte ich mir längst vorstellen, mich in Zukunft nicht nur an den Wochenenden auf etwas Neues und anderes einzulassen. Ich wollte immer mit Cay zusammen sein, mit ihm leben. Vielleicht, so dachte ich, sollten wir es auf einen Versuch ankommen lassen. Und zu meiner Freude machte Cay sogar häufiger Andeutungen in Richtung Familienplanung. All seine Freunde hatten inzwischen Kinder bekommen, und er schien selbst nicht mehr abgeneigt, Vater zu werden. Richtig eindeutig war seine Position jedoch nicht, aber ich wollte ihn mit einer so essenziellen Frage nicht bedrängen und vermied das Thema. Eine derart wichtige Entscheidung musste einvernehmlich und mit Überzeugung getroffen werden.
Bald hielten wir beide es nicht länger aus, immer nur zwei, drei Tage am Stück miteinander zu verbringen. Wir lebten eine Fernbeziehung mit der Sehnsucht nach Nähe. Immer wenn es am schönsten war, mussten wir uns voneinander trennen. Jedes Abschiednehmen schmerzte, der Sonntagnachmittag machte traurig, weil der Weg zum Bahnhof führte und uns mindestens zwei Wochen Wartezeit bis zum Wiedersehen bevorstanden.
Weil Cay beruflich stark eingebunden war, machte es für ihn keinen Sinn, sich nach einem Job in Norddeutschland umzusehen. Es lag nah, dass ich zu ihm zog.
Als ich meinen Eltern von meinen Zukunftsplänen erzählte, war meine Mutter strikt dagegen. So aufgebracht hatte ich sie selten erlebt. Ihrer Meinung nach machte ich einen großen Fehler. Ich sollte lieber in der Nähe bleiben, denn schließlich gehe die eigene Familie über alles. Nur hier sei ich richtig aufgehoben. Was ich überhaupt allein in der Fremde zu suchen habe, wollte sie wissen, meine Schwestern seien schließlich auch in der Nähe geblieben und glücklich dabei. Und was, wenn ich eines Tages ein Kind bekäme?, wollte sie wissen. Das könne ich doch allein nicht bewältigen. Da brauche man die Familie.
»Aber Mama, ich ziehe nicht auf den Mond, sondern nach Stuttgart. Andere Frauen in meinem Alter machen das Gleiche. Es ist vollkommen normal, in eine andere Stadt zu ziehen. Vielleicht komme ich eines Tages zurück. Aber jetzt ist es besser, wenn ich zu Cay ziehe und etwas Neues kennenlerne.«
«Das sehe ich anders. Du bist noch zu jung.«
»Ich bin einundzwanzig.«
Ich wollte raus und war erleichtert, als endlich alle Kartons gepackt waren und ich der angespannten Atmosphäre entfliehen
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