Am Ende zählt nur das Leben
günstig er bei seinen Beziehungen einen Kredit bekam. Manchmal zeigte er mir einen Gehaltszettel und notierte darauf zusätzliche Zahlen für Schulungen und Vorträge, sodass ich den Anschein bekam, alles halte sich im Rahmen. Seltsam fand ich allerdings, dass er am Wochenende zuvor seiner Exfreundin Petra beim Renovieren ihrer Wohnung geholfen hatte und dabei etwas Geld dazuverdiente , wie er sich ausdrückte.
Cay war seltsam unstet, wenn es um sein Verhältnis zu Geld ging. Großzügiges Verhalten wechselte mit Knausrigkeit. Ich staunte, wie er unzählige Abendstunden mit dem Schleifen einer Arbeitsplatte verbrachte, um Kosten zu sparen. Wenig später lud er mich zum Essen in ein teures Restaurant ein. Obwohl mir diese Widersprüche auffielen, erschienen sie mir normal . Mir fehlte die Erfahrung. Meine eigenen Eltern führten ein völlig anderes Leben, und in meiner Beziehung zu Robert hatten wir niemals viel Geld gehabt. Wertgegenstände hatten uns nichts bedeutet, wir hatten ja uns.
Cay aber trug seine Rolex mit Stolz und achtete darauf, sie möglichst sichtbar unterm Hemdsärmel hervorlugen zu lassen.
Alltag
Inzwischen arbeitete ich wieder an zwei Abenden in der Woche für einige Stunden in der Praxis. Wenn Cay aus dem Büro kam, übergab ich ihm unser Engelchen und verschwand. Sarah hatte ein Alter erreicht, in dem es besonderen Spaß machte, mit ihr zu spielen und ihre rasanten Entwicklungsschübe hautnah mitzuerleben. Sie war ein wunderbares Mädchen. Ihre blonden Locken wurden immer glatter und länger, ganz so wie bei mir.
Jeden Morgen freute ich mich, wenn sie an mein Bett kam und mich weckte. Sie schien alles zu verstehen, und ihr Wortschatz war bereits enorm. Ich sprach viel mit ihr und erklärte ihr, wenn ich eine Regel aufstellte oder sie aufforderte, etwas Bestimmtes zu tun. Meistens hörte sie mir geduldig zu und wog das Für und Wider meiner Bitten ab. Sollte sie wirklich nur ein Stückchen Schokolade essen und danach einen Apfel? Oder lieber weiterquengeln und um ein zweites Stückchen betteln? Als Konsequenz musste sie sich dann aber mein entschiedenes Nein und eine lange Erklärung anhören. Das wusste sie bereits ganz genau.
Im Winterurlaub konnte ich stundenlang mit ihr rodeln und im Schnee tollen. Es war herrlich, unserer Kleinen beim Schlittenfahren zuzuschauen. Sie war zwei Jahre alt, strotzte vor Energie und war tollkühn. Wenn sie mit Karacho einen Hang hinunterraste, fragten Cay und ich uns, von wem sie das wohl hatte. Sie war pfiffig und selten launisch. Wir hatten die tollste Tochter der Welt! Auch ihr Papa war begeistert von ihr.
Manchmal verwandelte Sarah mich selbst wieder in ein Kind. Wenn ich mit ihr spielte, kam sie mir manchmal vor wie eine kleine Freundin. Bei gutem Wetter verbrachten wir den ganzen Tag draußen. Morgens nach dem Frühstück zogen wir uns an und tobten im Winter im Schnee und im Sommer im Sand an einem See. Manchmal besuchten wir Freunde oder andere Mütter mit kleinen Kindern oder verabredeten uns auf einem Spielplatz. Dabei konnten wir uns schon richtig unterhalten. Meine Tochter würde mir immer nah sein, so fühlte ich es und freute mich auf jeden neuen Tag mit ihr. Ach, wenn sie erst einmal in den Kindergarten ging und noch mehr verstand! Mit ihr wurde es nie langweilig.
Wie schon in den Jahren zuvor verbrachten wir gelegentlich einen Kurzurlaub mit unseren Freunden Nicole und Heiner und ihrem Sohn Noah. Der Kleine war nur ein halbes Jahr älter als Sarah, und so passten die beiden gut zusammen. Bei vier Erwachsenen und zwei Kindern konnte man sich die Aufgaben um die Kleinen ein wenig aufteilen, und ich hatte mir anfangs vorgestellt, Sarah auch mal für einige Stunden an Cay abzugeben, um mich zu entspannen. Doch dabei spielte mein Mann nur ungern mit. Entweder lag er müde und erschöpft auf dem Sofa oder hatte etwas Besseres zu tun. Als Nicole und ich eines Morgens von unserer gemeinsamen Joggingrunde zurückkamen, war Noah frisch gewickelt und angezogen. Sarah hingegen lief mit voller Windel, ungewaschen und im Nachthemd umher. Der Geruch kam mir schon von Weitem entgegen.
»Cay, hättest du sie nicht mal wickeln können? Glaubst du, es ist schön für Sarah, mit einer vollen Hose herumzulaufen?«
»Nun reg dich doch nicht gleich auf. So früh am Morgen. Wir sind im Urlaub.«
»Was ist so schlimm daran, unsere Tochter zu waschen und anzuziehen?«
»Meine Güte, es kommt doch nicht auf fünf Minuten an.«
»Bei dir kommt es nie darauf an.
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