Am Ende zählt nur das Leben
Du wartest lieber, bis ich wieder da bin und alles erledige.«
»Stimmt genau«, sagte er mit einem ironischen Unterton, der mich wütend machte. Mir lief der Schweiß von der Stirn, ich hatte Durst und wollte unter die Dusche springen. Doch nun musste ich mich zunächst um Sarah kümmern, während Cay am Tisch saß und in der Zeitung blätterte. Sicher wartete er darauf, dass jemand das Frühstück für ihn bereitete.
»Ich finde es unmöglich, wie du dich verhältst. Deine Tochter läuft mit einem Stinker herum, und du rührst dich nicht mal.«
»Reg dich ab. Wenn ich morgens in die Firma fahre, nimmt mir das auch keiner ab.«
»Ach, daher weht der Wind.«
»Einer muss ja das Geld nach Hause bringen. Wovon würden wir sonst in Urlaub fahren und uns all die schönen Dinge leisten?«
»Verstehe.«
Ich nahm Sarah und ging mit ihr ins Bad, nicht ohne die Tür hörbar ins Schloss fallen zu lassen.
Als Sarah einige Stunden nach dem Mittagessen quengelte, wusste ich sofort, dass sie Hunger hatte.
»Kannst du ihr nicht mal ein Brot schmieren?«, fragte ich Cay. Die anderen waren spazieren gegangen.
»Ich wollte grad ins Bad und meine Fußnägel schneiden. Du liest doch den ganzen Tag diese trivialen Schmöker. Wie kann man nur solchen Schund lesen? Steh du doch auf und mach ihr was zu essen.«
»Erstens kümmere ich mich die meiste Zeit des Tages um unsere Tochter, und zweitens sind diese Bücher sehr interessant. Du kannst überhaupt nicht beurteilen, wovon sie handeln, weil du nicht mal reinschaust. Lass mich doch auch mal lesen. Wir sind im Urlaub. Es ist so herrlich entspannend. Bitte, schmier du ihr ein Brot. Mein Buch ist gerade so toll. Ich kann jetzt nicht aufhören. Nur fünf Minuten.«
»Was ist das denn überhaupt für ein Mist?«
»Die Rosenzüchterin.«
»Klingt ja wirklich hoch spannend«, sagte er mit einem sarkastischen Unterton und ging ins Bad.
Ich konnte Cays Verhalten nicht verstehen. Warum zeigte er so wenig Interesse an seiner Tochter? Auch wenn man oft genug beobachten konnte, wie er unser Engelchen knutschte, drückte und in die Höhe warf, wie er sie stolz herumzeigte und in den höchsten Tönen von ihr sprach, so war er doch auffallend zurückhaltend, wenn es um die praktische Seite der Vaterschaft ging. Wir hatten beim Frühstück sogar eine Diskussion zu viert geführt, aber weder Nicole noch Heiner konnten ihn davon überzeugen, dass häusliche Aufgaben dazugehören, wenn man eine Familie hat. Manchmal schien es Cay sogar egal zu sein, wie seine Tochter sich fühlte, ob sie Hunger hatte, ihre Windel voll war oder sie Hals über Kopf von einem Spielgerät zu stürzen drohte. Er war seltsam gleichgültig …
Als ich Nicole darauf ansprach, nickte sie zustimmend. Ja, Cay war irgendwie anders.
»Schmiert er denn nie ein Brot für Sarah?«, wollte meine Freundin wissen.
»Nein, eigentlich nicht. Und wenn er von der Arbeit nach Hause kommt, dann will er seine Ruhe haben.«
»Für eine halbe Stunde kann ich das verstehen«, sagte Nicole und lächelte. Eine halbe Stunde war zu einem geflügelten Wort geworden, weil Cay es oft benutzte. Er wollte sehr häufig eine halbe Stunde Ruhe haben. Doch daraus wurde oft der ganze Abend.
»Heiner freut sich, wenn er abends Noah sehen und entdecken kann, wie er sich schon wieder weiterentwickelt hat.«
»Das geht alles an Cay vorbei. Manchmal weiß ich nicht mehr weiter. Es ist frustrierend.«
»Bist du wirklich noch glücklich mit ihm?«
Ich schüttelte den Kopf.
Wie sollte es nur weitergehen? Er definiere sich über Äußerlichkeiten, nicht über seine Familie, hatte Nicole wie nebenbei im Lauf unseres Gesprächs gesagt, und die Worte hallten in mir nach. Sie hatte recht. Ich brauchte nur an die langen Diskussionen über seine Rolex zu denken und daran, dass er von einem Porsche träumte. Eines Tages wollte er unbedingt einen Porsche fahren. Ob darin ein Kindersitz Platz fand, war ihm egal. Mit Geschäftskunden ging er gern in teure Restaurants und wurde nicht müde, damit zu prahlen. Kitzbühel und Markenkleidung konnten ihn begeistern. Ob er genauso begeistert von seiner Familie sprach, wagte ich inzwischen zu bezweifeln. Vielleicht waren wir ihm längst auch egal oder sogar hinderlich?
Nein, glücklich war ich schon lange nicht mehr. Zu unterschiedlich waren unsere Wünsche an das Leben, dachte ich.
Wieder verliebt
Seit Monaten freute ich mich auf die Reise in den Norden zu meiner Familie. Ich wollte einen ganzen Monat bleiben, so
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