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Am Ende zählt nur das Leben

Am Ende zählt nur das Leben

Titel: Am Ende zählt nur das Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katja B.
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fragt man eine junge Mutter nach ihren Gefühlen, wenn sie gerade ihr Kind verloren hat? Was sagt man, wenn ein Kind vom eigenen Vater ermordet wurde? Einige meiner Mitmenschen waren schlichtweg überfordert von meiner posttraumatischen Depression, meinen Tränen und meiner Trauer. Sie hatten Angst, etwas Falsches zu sagen oder etwas falsch zu machen. Ich kann es ihnen nicht verdenken. Es waren junge Leute wie ich, von denen die meisten nie zuvor in Berührung mit Tod und Trauer gekommen waren.
    Anfangs war ich vollkommen aufgelöst in meiner Trauer und der Unbegreiflichkeit des Geschehenen. In dieser Zeit feierte mein Freundeskreis die Fußball- WM im eigenen Land.
    Später kam ich nicht mehr heraus aus dem tiefen Trauertal und zeigte kein Interesse an den Dingen, mit denen meine Freunde sich beschäftigten. Es war sicher nicht einfach, mir nahezukommen. Über Depressionen ist viel zu wenig bekannt, und so litt ich, wie viele andere Betroffene auch, in weitgehender Stille. Dabei hatte ich noch Glück im Unglück und familiären Rückhalt.
    Viele Angehörige und Freunde von Depressiven wissen schlichtweg nicht, wie sie sich verhalten sollen. Mir hat es immer gutgetan, wenn meine Mitmenschen sich normal gaben. So wie meine Freundin Nicole es getan hatte. Sie stellte Fragen, die ihr unter den Nägeln brannten; gemeinsam suchten wir nach Erklärungen. Dabei fühlte sie instinktiv, wie weit sie gehen konnte, ohne mich zu stark zu belasten. Und meine Schwester Anja machte es richtig, als sie mich, wie zu Neles Geburtstagsfeier, zurück in das normale Leben holte und mit mir über meine liebe Sarah lachte. Als sie sich nicht vor den schönen Erinnerungen scheute, sondern sie wachhielt. Das tat mir gut. Für mich waren dies die richtigen Wege, mich ein wenig am normalen Leben teilhaben zu lassen, bevor ich mich in Therapie begab.
    Manch einer möchte sich nicht mit der depressiven Stimmung eines anderen belasten, weil er sich nicht dazu in der Lage fühlt und überfordert ist, wenn ein Mitmensch unvermittelt in Tränen ausbricht und kein Licht am Ende des Tunnels sieht. Andere wollen nicht gestört werden, sondern ihr eigenes Glück und ihr eigenes Leben unbeschwert genießen. Auch das habe ich zu spüren bekommen. Viele meiner Freunde lebten zur Zeit meiner tiefsten Trauer in einer anderen Welt. Sie wollten feiern und ihre Jugend genießen. Ihnen fehlte manchmal einfach nur die Lust, sich mit meinen Problemen zu belasten. Erst jetzt, Jahre später, stellen sie mir Fragen nach meinen Gefühlen.
    Vor Kurzem fand ich ein Gedicht von Gabriela Erber, das mir aus der Seele spricht.
    So wichtig
in unserer Zeit
ist die Achtsamkeit.
Achtsam
mit sich selber sein
achtsam
zueinander sein.
Aufeinander achten
den andern auch beachten
alles mit neuen Augen betrachten.
Achte dich selbst
und achte dein Leben
versuche nicht nur
nach Materiellem zu streben.
Achte die Menschen neben dir
dann sind sie auch achtsam zu dir.

Das Leben ist schön
    Ich habe gelernt, dass Depression eine behandelbare Krankheit ist, wenn man sich den Problemen stellt. Manchmal braucht es einen Anstoß. Bei mir war es Robert, der mich zu einer Therapie bewog. Robert und seine Liebe waren es auch, die einen Großteil dazu beitrugen, mich in ein normales Leben zurückzubringen. Besonders wichtig waren jedoch die vierzehn Monate Therapie, bis meine Schwangerschaft weitere Sitzungen verhinderte. In ihrer geschulten Therapiesprache drückte Frau Precht es so aus, dass meine affektive Beteiligung durch das Prozessieren mittels der Traumaexposition deutlich reduziert worden war. Für mich hieß es in erster Linie, das Thema Tod von Sarah aus therapeutischer Sicht im Griff zu haben. Gern hätte ich noch weitere Gespräche geführt und noch mehr Stärkung erfahren, aber inzwischen kann ich auch so mein Leben meistern und mit meiner Familie glücklich sein. Frau Precht bedauerte es ein wenig, dass wir die Themen der Gegenwart und Zukunftsprojektion aufgrund meiner Schwangerschaft nicht tiefer gehend bearbeiteten. Wir vereinbarten jedoch, dass ich ihre professionelle Hilfe sofort suchen würde, wenn sich an meiner Verfassung etwas änderte. Ich war wirklich froh, schon bei meinem zweiten Anlauf der Therapieplatzsuche in die richtigen Hände geraten zu sein. Manchmal braucht es einen wesentlich längeren Atem, um die richtige Therapieform für sich zu finden. Und genau dieser Atem fehlt sicher vielen Betroffenen.
    Zum nächsten Weihnachtsfest schenkte Robert mir ein Wochenende

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