Am ersten Tag - Roman
leichten »Vintage-Touch« gab. Als sie angezogen war, föhnte sie ihr Haar, schminkte sich auf die Schnelle vor dem Flurspiegel und schloss die Tür ihres Apartments hinter sich ab. Draußen stieg sie in einen Bus und bahnte sich einen Weg zum Fenster. Nach diesen langen Monaten weit von allem entfernt war das Brodeln der Metropole berauschend. Nachdem sie den Bus verlassen hatte, in dem sie sich eingesperrt fühlte, lief Keira am Seineufer entlang und blieb kurz stehen, um den Fluss zu betrachten. Es war nicht der Omo, doch die Brücken von Paris waren trotzdem wunderschön.
Am Musée du Quai Branly, dem französischen Nationalmuseum für nichteuropäische Kunst, angelangt war sie von der Pflanzenwand am Verwaltungsgebäude wirklich überrascht. Das Museum war noch im Bau, als sie Paris verlassen hatte, und die üppige Flora, die jetzt die Fassade bedeckte, schien ein wahres Wunder der Technik.
»Faszinierend, was?«, fragte Jeanne.
Keira zuckte zusammen.
»Ich hab dich nicht kommen sehen.«
»Ich dich schon«, erwiderte ihre Schwester und deutete auf das Fenster ihres Büros. »Ich habe auf dich gewartet. Verrückt, diese Vegetation, findest du nicht?«
»Dort, wo ich gelebt habe, hatten wir schon Probleme, Gemüse auf horizontaler Fläche anzubauen, aber an diesen Mauern … was soll man dazu sagen …?«
»Fang nicht an, deinen Schmollmund zu ziehen. Komm mit.«
Jeanne führte Keira ins Innere des Museums. Am Ende einer
Rampe, die sich wie ein langes Band spiralförmig nach oben wand, erwartete den Besucher eine großflächige Empore. Diese symbolisierte die großen geographischen Räume, aus denen die dreitausendfünfhundert ausgestellten Objekte stammten. Als Kreuzung der Zivilisationen, der Glaubensrichtungen, der Lebens- und Denkweisen erlaubte es dieses Museum, mit wenigen Schritten von Ozeanien nach Asien, von Nord- und Südamerika nach Afrika überzuwechseln. Keira blieb vor einer Sammlung afrikanischer Stoffe stehen.
»Wenn es dir hier gefällt, kannst du deine Schwester so oft du willst besuchen. Ich lasse dir einen Dauerausweis ausstellen. Jetzt vergiss dein Äthiopien für zwei Sekunden und komm mit«, sagte Jeanne und zog Keira am Arm.
Als sie an einem Tisch des Panoramarestaurants Platz genommen hatten, bestellte Jeanne zwei Kännchen Pfefferminztee und orientalisches Gebäck.
»Was sind deine Pläne?«, fragte sie. »Bleibst du ein Weilchen in Paris?«
»Mein erster großer Auftrag war ein Reinfall, wie er im Buche steht. Wir haben unser ganzes Arbeitsmaterial verloren, das Team, das ich geleitet habe, war am Ende seiner Kräfte, nicht gerade berauschend dieser track record , wie unsere englischen Freunde es nennen. Ich habe starke Zweifel, dass ich in nächster Zeit Gelegenheit haben werde zurückzukehren.«
»Was dort passiert ist, ist doch nicht deine Schuld.«
»Ich übe einen Beruf aus, bei dem nur die Resultate zählen. Drei Jahre Arbeit ohne eine wirklich überzeugende Entdeckung … Ich habe mehr Gegner als Verbündete. Was wirklich mies ist, weil ich sicher bin, dass wir ganz nahe am Ziel waren. Hätten wir mehr Zeit gehabt, hätten wir am Ende auch etwas gefunden.«
Keira verstummte. Eine Somalierin, dachte sie beim Anblick
der Farben und Motive des Kleides, das die Frau am Nachbartisch trug. Ein kleiner Junge, der die Hand seiner Mutter hielt, merkte, dass Keira ihn beobachtete, und zwinkerte ihr zu.
»Wie viele Jahre wirst du noch in Erde und Sand graben? Fünf, zehn Jahre, dein ganzes Leben?«
»Gut, ich habe dich sehr vermisst, Jeanne, aber nicht genug, um mir deine ewigen Große-Schwester-Belehrungen anzuhören«, erwiderte sie, ohne den kleinen Jungen, der ein Eis verschlang, aus den Augen zu lassen.
»Möchtest du nicht eines Tages Kinder haben?«, fuhr Jeanne fort.
»Ich bitte dich, fang nicht wieder mit der alten Leier von der biologischen Uhr an!«, rief Keira.
»Zieh nicht deine übliche Nummer ab, das wäre mir unangenehm, schließlich arbeite ich hier«, flüsterte Jeanne. »Glaubst du, dass dich das nicht betrifft, dass du der Zeit trotzen kannst?«
»Mir ist das Ticktack deiner verdammten Pendeluhr so was von egal, Jeanne. Ich kann keine Kinder bekommen.«
Keiras Schwester stellte ihr Teeglas auf den Tisch.
»Tut mir leid«, murmelte sie. »Warum hast du mir das nie gesagt. Was hast du denn?«
»Keine Sorge, nichts Erbliches.«
»Und warum kannst du keine Kinder haben?«, insistierte Jeanne.
»Weil es keinen Mann in meinem Leben gibt! Das ist doch
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