Am ersten Tag - Roman
wohl ein guter Grund, oder? Und nicht dass unser Gespräch unerquicklich wäre, obwohl … aber ich muss ein paar Einkäufe erledigen. Mein Kühlschrank ist so leer, dass man das Echo im Inneren hallen hört.«
»Nicht nötig. Heute Abend isst und schläfst du bei mir«, entgegnete Jeanne.
»Was verschafft mir die Ehre?«
»Weil es auch in meinem Leben keinen Mann mehr gibt und ich dich gerne sehen möchte.«
Sie verbrachten den restlichen Nachmittag zusammen. Jeanne bot ihrer Schwester eine Führung durchs Museum an. Da sie Keiras Liebe zum afrikanischen Kontinent kannte, bestand sie darauf, sie einem ihrer Freunde vorzustellen, der in der Société savante des africanistes arbeitete. Ivory schien um die siebzig zu sein. In Wirklichkeit war er älter, wahrscheinlich über achtzig. Doch die Wahrheit hütete er wie einen Schatz. Und das wohl aus Angst, man könnte ihn zwingen, in Rente zu gehen, wovon er nichts hören wollte.
Der Ethnologe empfing seine Besucherinnen in seinem kleinen Büro am Ende eines Flurs. Er befragte Keira nach ihren letzten Monaten in Äthiopien. Plötzlich wurde der Blick des alten Herrn von dem Schmuck angezogen, den sie um den Hals trug.
»Wo haben Sie diesen hübschen Stein gekauft?«, fragte er.
»Ich habe ihn nicht gekauft. Es ist ein Geschenk.«
»Hat man Ihnen gesagt, woher er stammt?«
»Nein, es ist nur eine Kleinigkeit, die ein Junge von dort in der Erde gefunden und mir geschenkt hat. Warum?«
»Darf ich mir den Anhänger mal aus der Nähe ansehen? Meine Augen sind nicht mehr die besten.«
Keira streifte die Lederschnur über den Kopf und reichte dem Wissenschaftler die Kette.
»Wie sonderbar, ich habe noch nie etwas Ähnliches gesehen. Ich wäre außerstande, Ihnen zu sagen, welcher Stamm solch ein Schmuckstück hergestellt hat. Eine perfekte Arbeit.«
»Ich weiß, ich habe mich auch gefragt. Aber ehrlich gesagt, glaube ich, dass es sich ganz einfach um ein Stück Holz handelt, das vom Wind und vom Wasser des Flusses poliert worden ist.«
»Möglich«, murmelte der Mann, der seine Zweifel zu haben schien. »Und wenn wir versuchen würden, etwas mehr in Erfahrung zu bringen?«
»Ja, wenn Sie wollen«, erwiderte Keira zögernd. »Ich frage mich allerdings, ob das Ergebnis von Interesse sein wird.«
»Vielleicht, vielleicht nicht. Kommen Sie morgen bei mir vorbei«, sagte der alte Herr und gab die Kette ihrer Besitzerin zurück. »Dann versuchen wir gemeinsam, wenigstens diese Frage zu beantworten. Ich bin erfreut, Ihre Bekanntschaft gemacht zu haben. Jetzt weiß ich endlich, wer die Schwester ist, von der Jeanne mir so oft erzählt. Also, bis morgen?«, fügte er hinzu und begleitete die beiden zur Tür seines Büros.
London
Ich wohne in London in einer Gasse, deren ehemalige Stallungen und Remisen in kleine Häuschen umgewandelt wurden. Auch wenn es nicht immer einfach ist, auf dem holprigen Pflaster zu gehen, ohne zu stolpern, hat sich der Ort den Charme vergangener Zeiten erhalten. Das Haus neben dem meinen war übrigens das von Agatha Christie. Erst als ich vor meiner Tür stand, fiel mir wieder ein, dass ich keine Schlüssel hatte. Der Himmel hatte sich verfinstert, und es begann wie aus Kübeln zu schütten. Als meine Nachbarin ihre Fenster schloss, bemerkte sie mich und winkte mir zu. Ich nutzte die Gelegenheit und bat sie um die Erlaubnis - es war leider nicht das erste Mal -, ihren Garten durchqueren zu dürfen. Sie öffnete mir freundlich, und nachdem ich über den Lattenzaun geklettert war, landete ich auf der Rückseite meines Hauses. Wenn die Tür dort nicht repariert worden war, und ich sah nicht, durch welches Wunder das hätte geschehen sollen, müsste ich nur etwas an der Klinke rütteln, um endlich ins Innere zu gelangen.
Ich war völlig erledigt und immer noch wütend, wieder in England zu sein, doch die Vorstellung, in meinen vier Wänden all die Gegenstände vorzufinden, die ich auf den Flohmärkten der Hauptstadt ergattert hatte, und einen geruhsamen Abend zu verbringen, bereitete mir eine gewisse Freude.
Diese Ruhe war allerdings nur von kurzer Dauer, denn es läutete an meiner Tür. Da ich sie immer noch nicht öffnen
konnte, nicht einmal von innen, stieg ich in den ersten Stock. Unten entdeckte ich Walter, der triefend nass und deutlich beschwipst auf der Straße stand.
»Sie haben kein Recht, mich fallenzulassen, Adrian!«
»Soweit ich weiß, habe ich Sie nie getragen, Walter.«
»Es ist nicht der rechte Moment für solche albernen
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