Am ersten Tag - Roman
Leichtsinn zu bereuen.«
Seine Sichtweise ist nicht unlogisch, doch wenn ich jetzt aufgeben würde, würde ich all meine Chancen aufs Spiel setzen, an dem bevorstehenden fantastischen Abenteuer teilzunehmen. Über eine derart gewaltige Anlage verfügen zu können und zu diesem Team gehören zu dürfen, kommt einem Tagtraum gleich.
Nach Einbruch der Dunkelheit haben wir unseren Bungalow verlassen, um nach einer halben Stunde Fußmarsch den
Standort der dritten Teleskopantenne zu erreichen. Erwan kümmert sich um die Justierungen, ich sichere die Registrierung der empfangenen Wellen. Diese Wellen aus dem All kommen aus Universen, die so fern sind, dass wir noch vor zehn Jahren außerstande waren, uns ihre Existenz auch nur vorzustellen. Genauso wenig wie ich heute in der Lage bin, mir das Ausmaß der Entdeckungen auszumalen, die wir machen werden, wenn die vierundsechzig Parabolantennen alle miteinander verbunden und an den Zentralcomputer angeschlossen sind.
»Empfängst du etwas?«, fragt mich Erwan auf seiner Stahltreppe, die an der zweiten Etage der Antenne angebracht ist.
Ich bin sicher, ihm geantwortet zu haben, doch mein Kollege wiederholt seine Frage. Habe ich nicht laut genug gesprochen? Die Luft ist trocken, und die Schallwellen reisen schlecht.
»Verdammt noch mal, Adrian, empfängst du nun ein Signal oder nicht? Ich habe keine Lust, mich hier stundenlang im Gleichgewicht zu halten.«
Ich habe enorme Schwierigkeiten zu sprechen, wahrscheinlich wegen der Kälte. Es ist schrecklich kalt, ich kann meine Fingerspitzen kaum noch spüren. Meine Lippen sind wie taub.
»Adrian? Hörst du mich?«
Natürlich höre ich dich, Erwan, warum hört er mich nicht? Schließlich bekomme ich auch mit, wie er jetzt von seinem Hochsitz herunterklettert.
»Aber was machst du bloß?«, knurrt er.
Plötzlich legt er seine Gerätschaften beiseite und rennt auf mich zu. Er beugt sich über mich, und ich sehe, wie sich sein Gesicht verzieht und seine Miene Sorge ausdrückt.
»Adrian, deine Nase! Du blutest wie ein Schwein!«
Er packt mich unter den Achseln und hilft mir aufzustehen. Mir war gar nicht bewusst gewesen, dass ich am Boden hockte.
Erwan greift zu seinem Walkie-Talkie und bittet um Hilfe. Ich versuche, ihn daran zu hindern, es gibt keinen Grund, die anderen zu stören, es ist nur ein kleiner Schwächeanfall, doch meine Hände reagieren nicht, ich bin außerstande, meine Bewegungen zu koordinieren.
»Basisstation, Basisstation, hier Erwan an der Antenne Nummer drei. Bitte antworten, Mayday, Mayday!«, wiederholt mein Kollege immer wieder.
Ich lächele, das Wort »Mayday« wird nur in der Luftfahrt verwendet. Doch es ist wohl nicht der rechte Moment, den Oberlehrer zu spielen, zumal mich ein alberner Lachkrampf überkommt. Und je mehr ich lache, desto besorgter wird Erwan, wobei er mir doch sonst immer vorwirft, das Leben nicht leicht genug zu nehmen - das ist wirklich die Höhe.
Ich höre sein Walkie-Talkie knistern und eine mir vertraute Stimme antworten, die ich aber keiner Person zuordnen kann. Erwan erklärt, dass ich mich nicht gut fühle, das stimmt gar nicht, ich war noch nie so glücklich, alles ist schön hier, selbst Erwan, auch wenn sein Gesicht von Sorgenfalten durchzogen ist. Ich weiß nicht, ob es an der speziellen Färbung des Mondscheins liegt, doch ich finde, er sieht heute Nacht geradezu attraktiv aus. Aber bald schon finde ich gar nichts mehr, seine gedämpfte Stimme dringt nicht mehr an meine Ohren, wie bei jenem Spiel, bei dem man die Worte von den Lippen der anderen ablesen muss. Sein Gesicht verschwimmt, ich verliere das Bewusstsein.
Erwan blieb an meiner Seite wie ein Bruder. Er hörte nicht auf, mich zu schütteln, weckte mich schließlich sogar auf. Das nahm ich ihm zunächst übel; nach all der Zeit, die ich nicht schlafen konnte, war das nicht sehr verständnisvoll von ihm. Zehn Minuten nach seinem Hilferuf traf ein Jeep ein. Meine Kollegen hatten sich eilig angezogen, um mich ins Basislager
zu fahren. Der Arzt ordnete meinen sofortigen Abtransport an. Adieu, ihr schönen Atacama-Träume!
Ein Hubschrauber brachte mich ins Krankenhaus von San Pedro im Tal. Nach drei Tagen unter einem Sauerstoffgerät wurde ich entlassen. Erwan kam zu Besuch, begleitet vom Direktor des Forschungszentrums, dem es leidtat, auf einen »Wissenschaftler meines Kalibers« verzichten zu müssen. Ich erachtete dieses Kompliment als einen Trostpreis, ein paar beruhigende Worte, die ich in meinem Gepäck
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