Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Am Fluss des Schicksals Roman

Titel: Am Fluss des Schicksals Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Haran
Vom Netzwerk:
keine Stiefel an den Füßen«, sagte Joe, denn er wusste, dass Ned nicht untätig herumsitzen konnte.
    Neds Gesicht hellte sich auf, als wäre ihm eine Zentnerlast vom Herzen gefallen.
    »Wir brauchen uns nicht zu beeilen, um das Holz aufzuladen«, fuhr Joe fort. »Außerdem müssen wir ohnehin einen Zwischenstopp in Echuca oder Moama einlegen, um das Baby den Behörden zu übergeben.« Er sah zu dem kleinen Mädchen, das Mary mit einem für sein Alter ungewöhnlich aufmerksamen Blick betrachtete.
    »Wie konnte ihre Mutter sie verstoßen?« Mary schüttelte den Kopf, während sie dem Baby in die Augen sah. »Kinder sind etwas Heiliges ... ein Segen ...« Jahrelang hatte sie gebetet, dass ihr Wunsch nach einem Kind sich erfüllen möge; umso weniger konnte sie begreifen, dass jemand sein eigenes, hilfloses Töchterchen verstieß.
    »Eine Fügung des Schicksals hat dieses kleine Mädchen zu uns geführt«, sagte Joe mit Ehrfurcht in der Stimme.
    »Die Wege des Herrn sind unergründlich«, sagte Ned in sanftem Ton. Er hatte das Gefühl, von einer gütigen Machthierher geführt worden zu sein, zumal es ein unglaublicher Glücksfall war, zwei so großherzigen Menschen wie Mary und Joe begegnet zu sein.
    »Du hast Recht, Ned«, entgegnete Mary. »Die Mutter hat ihr Kind ausgesetzt und einer ungewissen Zukunft überlassen. Hättest du nicht darauf bestanden, am Ufer zu schlafen, hätten wir gar nicht mitbekommen, dass die Kleine in einer Wanne auf dem Fluss treibt.«
    »Und wärst du nicht ins Wasser gesprungen, um sie zu retten, und zwar im richtigen Moment, wäre sie jetzt fort«, fügte Joe hinzu. Er schaute auf das Kind und wusste, dass es mit großer Sicherheit ertrunken wäre. Dank einer Verkettung unglaublicher Zufälle – darunter auch der, dass sie ausgerechnet bei Boora Boora angelegt hatten –, hatte das kleine Mädchen überlebt.
    »Ich habe immer schon geglaubt, dass wir nicht alleine für unser Schicksal verantwortlich sind«, sagte Ned und richtete den Blick auf Mary. »Und nun glaube ich, dass dieses kleine Mädchen für euch bestimmt ist.«
    Mary schaute Ned an. Seine Worte hatten ihr die Sprache verschlagen.
    »Willst du damit sagen, wir sollten sie gar nicht den Behörden übergeben, Ned?«, fragte Joe. Das hatte er noch gar nicht in Erwägung gezogen. Liebend gern hätte er das Kind behalten, doch er wusste, dass es ungesetzlich wäre, die Behörden zu übergehen.
    Ned schwieg. Er musste an seine eigene Kindheit denken, und ein solches Schicksal wollte er dem Baby ersparen – jedem Kind. »Wenn ihr sie abgebt, setzt ihr sie einem Leben aus, das viel schlimmer sein könnte, als wäre sie weiter auf dem Fluss getrieben.«
    Ungläubig starrten Mary und Joe Ned an. Obwohl sie schwere Zeiten durchgestanden hatten und das Geld oft knapp gewesen war, hatten beide eine wundervolle Kindheitgenossen, wohl behütet im Schoße der Familie. Aber nicht jeder hatte ein solches Glück. Und Neds Tonfall ließ sie erkennen, dass er aus eigener bitterer Erfahrung sprach.
    Mary fühlte sich instinktiv für das winzige Wesen verantwortlich, doch im nächsten Moment kam ihr ein schrecklicher Gedanke. »Vielleicht überlegt ihre Mutter es sich plötzlich anders und möchte sie zurückhaben«, sagte sie. Ihr war der Gedanke unerträglich, dass man ihr das kleine Mädchen wieder wegnehmen könnte, nachdem sie es jetzt schon fest ins Herz geschlossen hatte.
    »Bis zur Mündung des Murray ins Meer sind es noch mehr als tausend Meilen«, sagte Ned. »Hätte die Strömung das Kleine so weit fortgetrieben, ohne dass die Wanne gekentert wäre, dann wäre es verhungert, und sein Leichnam wäre aufs offene Meer getrieben. Ich habe den Eindruck, als wollte seine Mutter es loswerden und vermeiden, dass jemand es findet und lästige Fragen stellt.«
    Vor Entsetzen traten Marys Augen hervor, und sie drückte das Baby fest an sich.
    Ned stieß einen Seufzer aus. Im Grunde wollte er von der Mutter nichts Schlechtes denken – aber wie hätte man ihr verzeihen können nach dem, was sie getan hatte? »Ich kenne zwar nicht die genauen Umstände, aber eine Frau, die alleine ein Baby zur Welt bringt, an einem einsamen Flussufer, und das Kind dann in eine Wanne legt und im Wasser aussetzt, hat gehofft, dass das Baby entweder im Fluss entdeckt wird oder dass es aufs offene Meer hinaustreibt. Wie auch immer, jedenfalls rechnet sie bestimmt nicht damit, das Kleine zurückzubekommen.« Dabei musste Ned an seine eigene Mutter denken, die ihn wie ein

Weitere Kostenlose Bücher