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Am Freitag schwarz: Kriminalroman (German Edition)

Am Freitag schwarz: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Am Freitag schwarz: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Sears
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es sich sparen können. Mit höchster Konzentration zog Kid seine Fritte durch die Ketchup-Pfütze. Seit wir nicht mehr über Autos redeten, waren wir für ihn uninteressant. Es wäre ihm nicht einmal aufgefallen, wenn wir plötzlich in grünen Flammen aufgegangen wären oder Flügel ausgebreitet hätten, um durch das Restaurant zu schweben.
    »Ja und nein«, sagte ich. »Er wiederholt – Wort für Wort –, was mein Vater ihm aus einem Buch vorgelesen hat. Es ersetzt eigentliches Erzählen. Ein guter Trick, aber mit einem Gespräch in dem Sinne hat es nichts zu tun. Ich soll ihn, sooft ich kann, zum Sprechen ermutigen und anregen, aber er ist äußerst geschickt darin, es zu vermeiden.«
    Der Junge ließ die Fritte auf seinen Teller fallen und sah sich um. Eben noch war er da, spielte entspannt mit seinem Essen, brauchte keine Hilfe von dem ewig besorgten Vater, war zufrieden mit seinen fünf kleinen Autos, die er in einer Reihe mit exakt gleichen Abständen auf dem Tisch aufgebaut hatte. Und im nächsten Augenblick war er überhaupt nicht mehr da. Er schloss die Augen, der Oberkörper schaukelte langsam vor und zurück, seine Finger klappten unaufhörlich in ihrem merkwürdigen Rhythmus gegen die Handballen.
    »Mein Gott«, flüsterte Skeli. »Was ist los, was hat er?«
    »Irgendwas hier nervt ihn«, erklärte ich. »Wer weiß schon, was? Die fluoreszierenden Lichter können es sein, dein Shampoo oder vielleicht, dass das Ketchup von der falschen Marke ist.«
    »Und was machen wir jetzt?«
    Ich schüttelte den Kopf. »Nichts. Er versucht, selbst damit fertig zu werden. Er will die Kontrolle. Schau, was er mit den Fingern macht. Das ist einer von seinen ›Tricks‹. Er blendet das Störende aus, indem er sich auf etwas konzentriert, das er selbst kontrollieren kann. Das nennt man ›Stimming‹. Entweder kommt er so jetzt noch da raus, oder es eskaliert.«
    Ich war längst nicht so ruhig, wie ich vorgab zu sein. Es war immer verschieden, wie Kid aus einer solchen Trance auftauchte: entspannt, erschöpft, energiegeladen oder manisch. Ich wusste nie, worauf es hinauslief. Wenn diese Zustände kamen, war ich hilflos – fühlte mich nutzlos. Heather verfügte über die Fähigkeiten und die Disziplin, die es brauchte, um ihm dann zu begegnen. Ich wusste, dass ich weder das eine noch das andere hatte. Es war nicht Gelassenheit, die mich die Rolle des stillen Beobachters einnehmen ließ, es war Feigheit.
    Kid summte seinen langen, immergleichen Ton.
    »Hilft es, wenn wir mit ihm reden? Sollen wir über Autos reden?«
    »Er weiß gar nicht, dass wir da sind.«
    Skeli beobachtete seine Finger.
    »Skimbleshanks«, sagte sie.
    »Was?«
    »Skimbleshanks, der Eisenbahnkater. Aus Cats . Das ist der Rhythmus, den er klopft.«
    »Ich wüsste nicht, dass er das Stück kennt«, erwiderte ich. Ich kannte es nicht.
    »Es ist ein Dreizehn-Achtel-Takt.«
    »Moment mal. Meinst du, sein Fingerklappen folgt einem bestimmten Muster?« Wieso war mir das noch nicht aufgefallen?
    »Natürlich. Es sind drei Gruppen von jeweils drei Achteln und dann noch eine Vierergruppe. Glaub mir, du hörst dir das nicht zwei Jahre lang in acht Shows pro Woche an und vergisst es dann.«
    »Ich hab keine Ahnung, wo er Geschmack an Andrew Lloyd Webber gefunden haben könnte.«
    »Keine Angst, das ist bestimmt nicht ansteckend!«
    Ich schob meinen Stuhl ein paar Zentimeter näher an seinen heran, damit ich ihn auffangen konnte, falls das Schaukeln zu heftig wurde.
    »Wenn er das macht, soll ich seine Pupillen beobachten. Sollten die auffällig groß werden, wäre das ein Hinweis darauf, dass er einen Anfall hat, einen Minianfall. Das müsste dann genauer untersucht werden und so weiter.« Ich stieß einen langen Seufzer aus. »Dummerweise hat er dann immer die Augen zu.«
    Sie lachte sanft. »Ich nehme an, er lädt seine psychischen Batterien auf.«
    »Vielleicht ist es das.« Ein wenig konnte ich mich entspannen. »Weißt du, wie einige der hochfunktionalen Autisten uns nennen? Dich und mich und den Rest der Menschheit, meine ich? Wir sind ›NT‹. Neurotypisch. Wir leiden an der Unfähigkeit, über einen sehr begrenzten Strukturrahmen hinaus begrifflich zu denken. Es fällt uns schwer, uns wirklich bis ins Letzte zu konzentrieren, und unsere ständige Beschäftigung mit emotionalen Themen steht uns im Weg.«
    »Klingt ernst.«
    »Vielleicht haben sie recht. Vielleicht sind diese Kinder die Zukunft. Ihr Hirn entwickelt sich ständig weiter, verarbeitetDinge

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