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Am Freitag schwarz: Kriminalroman (German Edition)

Am Freitag schwarz: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Am Freitag schwarz: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Sears
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schrecklichen Eltern ihrem Kind einen solchen Wutanfall durchgehen ließen. Die Kellnerin rief auf Spanisch etwas, das ich nicht hätte übersetzt haben wollen.
    »Komm hinterher!«, rief ich der erschrockenen Skeli zu.
    Sie verstand und nickte.
    Ich legte beide Arme um den Jungen und zog ihn an mich, dann stand ich auf und lief, so schnell ich konnte, zur Tür, wobei er immer noch um sich schlug und trat und laut weinte. »Er ist krank! Gehen Sie aus dem Weg!«, schrie ich.
    Die Kellnerin sprang zur Seite.
    Schließlich war ich draußen und einen Block weit gelaufen. Kid hörte auf zu kämpfen. Er erschlaffte, gab nur noch klagende Laute von sich. Ich blieb stehen und wartete auf Skeli.
    »Mein Gott, Jason! Kommt das oft vor?« Sie hörte das Jammern. »Alles in Ordnung mit ihm?« In ihrem Haar und über einer Braue glänzten Ketchup-Spritzer.
    »Ja, alles okay«, murmelte ich. »Hör mal.« Ich war wütend, es war mir peinlich, absolut unangenehm.
    »Nille. Nille«, sagte der Junge.
    »Was? Was sagt er?«
    »Er möchte Eis«, erklärte ich.
    »Herr im Himmel! Eis? Eis? Machst du Witze? Er möchte Eis !?« Die Hände in die Hüften gestützt stand sie da und reckte den Kopf vor, um den Worten – die sie mehr ausspuckte als schrie – Nachdruck zu verleihen.
    Wütend wirkte sie größer.
    »Sieh dir das an!«, rief sie und zeigte mir ihren nackten Arm, auf dem sich ein kleiner Halbkreis rötlicher Spuren abzeichnete. »Er hat mich gebissen!« Und auf einmal fand sie das komisch. Ungeheuer komisch. Sie krümmte sich vor Lachen.
    Alles in allem, dachte ich, nimmt sie es ganz gut auf.
    »Nille.«
    »Gleich«, sagte ich, ohne lange zu überlegen.
    Skeli lachte noch lauter.
    »Und? Wenn mein Kind dich beißt, heißt das, dass du mich nicht wiedersehen willst?«
    Vor lauter Lachen bekam sie kaum noch Luft.
    »Sag bitte nicht, dass wir Freunde bleiben können, okay?«, fuhr ich fort.
    Sie atmete scharf ein und hielt die Luft an. Es funktionierte.
    »Und abgesehen davon – wie war das Essen?«
    Sie lächelte. »Ich könnte mir keinen romantischeren Abend denken.«
    »Vielleicht noch ein Eis?«
    »Du bist wirklich süß, Jason. Aber ich gehe jetzt nach Hause und wasche das Ketchup aus meinem Haar. Dann reinige ich meine Wunden mit Wodka, und den Rest trinke ich.«
    »Nille.«
    »Sei still«, sagte ich.
    »Nille!«, wiederholte er lauter.
    Skeli lachte nicht mehr. Sie sah auch nicht mehr wütend oder erschrocken aus, sondern so, als treffe sie gerade eine Entscheidung. Eine harte.
    »Kommt so was oft vor?«
    »Definiere ›oft‹«, gab ich zurück. Was ich ihr nicht sagte, war, dass dies ein vergleichsweise kleiner Ausbruch gewesen war.
    »Gute Nacht, Jason.« Sie küsste mich auf die Wange. Es fühlte sich an wie ein Abschiedskuss. »Ich ruf dich an.«
    »Kann ich dir ein Taxi besorgen?«
    »Besorg ihm ein Eis.« Damit wandte sie sich ab und ging davon.
    »Nille«, jammerte Kid.

15
    Die finsteren Seiten ihrer Geschichte verbirgt die Stadt.
    Hundert Jahre oder länger waren die Five Points ein seuchengebeutelter Slum, regiert von Gangs wie den Roach Boys und Dead Rabbits, die solche Lichtgestalten wie Meyer Lansky, Lucky Luciano und Al Capone hervorbrachten. Jetzt gibt es dort einen Park, nicht weit vom Büro meines Bewährungshelfers, wo an sonnigen Tagen städtische Angestellte sitzen und ihre Pausenbrote essen.
    Die Mietskasernen, in denen die Jets und die Sharks mit Messern, Ziegelsteinen und Pistolen aufeinander losgingen – eine schmutzigere, gewaltträchtigere Szenerie, als Bernstein und Sondheim sie je hätten erfinden können –, sind durch das Lincoln Center ersetzt worden.
    Hell’s Kitchen heißt heute Midtown West. Eine Zeit lang hatte die Bank Morgan Stanley ihre Büros hier.
    Und die Stelle, an der der Broadway auf Höhe der 72. Straße die Amsterdam Avenue kreuzt – der Blick von meinem Fenster aus –, ist das Portal zu New Yorks Upper West Side. Die aufgemöbelte, weitläufige U-Bahn-Station zieht sich zwischen zwei kleinen Plätzen hin – dem Sherman und dem Verdi Square, die zusammen in früheren Jahren als »Nadelpark« bekannt waren, als größter Open-air-Drogenhandelsplatz südlich der 110. Straße. Vor vierzig Jahren wäre der Anblick zweier Männer im grauen Anzug, die dort auf einer Parkbank sitzen, ein Unding gewesen.
    Ich habe sie gar nicht wahrgenommen.
    Kid war für das gar nicht oder kaum Gesehene viel empfänglicher als ich. Ich hatte immer geglaubt, ich hätte die stets wachen Sinne

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