Am Freitag schwarz: Kriminalroman (German Edition)
»Keine Frage. Wenn du nichts anderes willst als Geld machen, musst du dahin gehen, wo das Geld ist.«
»Amen.« Roger trank noch einen Schluck und stöhnte leise. »Das tut gut.«
»Ich sag dir, was ich vermisse: wie es sich anfühlt, morgens aufzustehen und noch vorm Duschen die Märkte zu checken. Das Gefühl, mich irgendwo einzuklinken. Teil von etwas wirklich Großem zu sein. Wenn du es richtig machst, spürst, wie die Geldströme fließen, vorhersiehst, wo etwas kippt, dann ist das wie Jazz improvisieren und Fallschirmspringen gleichzeitig. Es ist ein Rausch.«
Danach saßen wir ein paar Minuten einfach schweigend da. Mich beschäftigten die Fehler, die ich gemacht hatte, Reue nagte an mir. Roger spürte das.
»Und dann hast du’s versaut.«
»Und wie.«
»Warum?«
Zahllose unschöne Nächte hatte ich auf meiner Pritsche im Ray-Brook-Gefängnis wach gelegen und nach einer Antwort auf diese Frage gesucht. Aber mir in Erinnerung zu rufen, wie ich langsam, Schritt für Schritt, auf dieses Ende zugesteuert war, machte mich jedes Mal wütend. Es frustrierte mich.
»Ich weiß es nicht. Kennst du diese Redensart über Ärzte? Dass sie alle denken , sie sind gut? Trader wissen es besser. Trader wissen , sie sind Götter.«
Die Wahrheit war wohl, dass ich Angst gehabt hatte. Angst davor, kein Gott mehr zu sein. Angst, dass meine Zeit vorbei war, dass mein Innerstes, das, was meine Stärke ausmachte, ausgebrannt und zu Asche zerfallen war. Und dass alle das wussten.
»Ist wahrscheinlich kompliziert«, sagte ich lahm.
»Sieht so aus.«
»Vielleicht habe ich einfach nie daran gedacht, dass ich auffliegen könnte.« Ich sah auf die Uhr. Ich musste gehen, Skeli treffen. Mit dem Jungen. Alles war möglich.
»Weißt du was? Vielleicht vermisse ich es gar nicht.«
»Es läuft doch immer noch gut für dich. Nicht viele bringen es so weit.«
Wir saßen in einem China-Latino-Laden ganz in der Nähe, wo sie nichts dabei fanden, auch mal einen Grillkäse mit Fritten zu machen. Skeli und ich teilten uns einen Avocadosalat und nahmen jeder eine Portion knuspriges Hähnchen.
Das Lokal war klein, und wenn es voll gewesen wäre, hätte der Lärm dem Jungen zu schaffen gemacht, aber an diesem frühen Montagabend bestand die Rushhour aus uns und zwei spanisch sprechenden Taxifahrern, die sich vor der Nachtarbeit noch einmal stärkten.
»Was ist dein Lieblingsauto?«, fragte ich Skeli.
Kid fuhr seine Antenne aus.
»Auto? Ich weiß nicht. Ich hab’s nicht so mit Autos, glaube ich.«
Kid konzentrierte sich wieder auf seine Fritten.
»Hast du nie ein Auto gehabt, das du unglaublich cool fandest, cooler als alle anderen? Nie?«
Sie schüttelte irritiert den Kopf. »Nein. Aber warte. An eins hab ich mal gedacht. Meine Lieblingscousine hat einen alten Karmann Ghia. Er steht in ihrer Scheune, und sie holt ihn nur raus, um ihn zu wachsen und zu polieren. Der ist süß.«
»Typ vierunddreißig?«, meldete sich meine kleine Autoenzyklopädie zu Wort.
»Wie bitte?« Skeli sah hilflos zu mir.
Kid sprach weiter. »Der Typ 34 hat den 1500-Kubikzentimeter-Motor. Von diesem Modell sind nur wenige Exemplare in die Vereinigten Staaten importiert worden. Es wurde bis 1969 gebaut. Danach produzierte derselbe Hersteller den Porsche 914.« Ich erkannte die Sprechmelodie meines Vaters.
»Ich weiß nicht«, stutzte sie. »Vielleicht war es auch der andere.«
Der Junge nickte ernst. An Erwachsene, die praktisch nichts über Autos wussten, war er gewöhnt. »Der ursprüngliche 1200-Kubikzentimeter-Motor war identisch mit dem des VW Käfer, mit 36 PS und einer Spitzengeschwindigkeit von 120 Stundenkilometer. Spätere Modelle hatten 60 PS und fuhren sich sportlicher. Zwanzig Jahre lang wurde der Wagen produziert, im Lauf der Zeit gab es nur geringfügige Veränderungen am Design, eine knappe halbe Million Fahrzeuge konnten verkauft werden, bevor der Karmann Ghia 1974 in der VW-Modell-Folge vom Scirocco abgelöst wurde. Ketchup!«
Starr vor Staunen hatte Skeli seiner makellosen Rede gelauscht. Als er seine Bestellung bellte, zuckte sie zusammen und schob ihm die Ketchupflasche hin.
»Wow! Das habe ich alles nicht gewusst!«
Der Junge war mit seinem Ketchup beschäftigt. Ich wartete, bis er eine kleine Pfütze auf seinen Teller gedrückt hatte, dann tauschte ich die Flasche in seiner Hand gegen eine lange Fritte aus.
»Auf dieses kleine Genie bist du bestimmt sehr stolz.« Das Kompliment ging eigentlich an seine Adresse, aber sie hätte
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