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Am Freitag schwarz: Kriminalroman (German Edition)

Am Freitag schwarz: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Am Freitag schwarz: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Sears
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eines New Yorkers, die Gabe, schon von Weitem den murmelnden Irren auszumachen, der vorhatte, mich um einen Dollar anzugehen, und mir sabbernd hinterherfluchen würde, wenn ich ihm keinen gab. Versperrte ein gut gekleideter Mann – oder eine Frau – ohne erkennbaren Grund die U-Bahn-Tür, griff ich instinktiv nach meiner Brieftasche und hielt Ausschau nach dem dazugehörigen Taschendieb-Partner. Der Junge aber hatte einen sechsten Sinn. Er hatte die Instinkte eines geprügelten Hundes.
    Mitten auf der Amsterdam Avenue ließ er seine Eiswaffel fallen und fing an zu knurren und mit den Fingern zu klappen.
    Es war spät, wir hatten schon einiges hinter uns.
    »O Gott, bitte, Kid, ganz ruhig! In fünf Minuten sind wir zu Hause.«
    Er verfiel in ein ausgedehntes, unheimliches Heulen, zu leise, als dass es auf der belebten Straße weithin zu hören gewesen wäre, aber doch so durchdringend, dass ich vor Schreck erstarrte.
    Dann rannte er los.
    Ich schrie auf und rannte hinterher. Aussichtslos. Noch nie hatte ich ihn so laufen sehen. Mein steifbeiniger, linkischer kleiner Junge, den ich schon über einen Buntstift hatte stolpern sehen, schoss los wie eine Flüssiggasexplosion, schnellte nach vorn, wich seitlich aus, preschte weiter voran, als hätte er sich in einen neunzig Zentimeter großen Mittelstürmer verwandelt. Ich war entsetzt und unsagbar stolz zugleich. Und ich hatte Mühe, ihn einzuholen.
    Aus dem Augenwinkel sah ich die beiden Männer von ihrer Parkbank aufspringen und laufen, um ihm den Weg abzuschneiden. Sie waren groß, trugen beide grauen Anzug,weißes Hemd, Krawatte und schwere schwarze Schuhe. Ich nahm an, dass sie keine Chance hatten, ihn zu erwischen. Wir überquerten die 73. Straße in Richtung Broadway. Die Fußgängerampel sprang auf Rot. Der Verkehr auf der einzig verfügbaren Spur nach Süden rollte an. Kid saß in der Falle. Er fuhr herum und sah mich an: Sein Mund stand offen, immer noch stieß er das leise Heulen aus, Tränen liefen ihm über die Wangen. Aber er blieb stehen. Beherrschte sich. Lief nicht ohne einen Erwachsenen auf den Broadway.
    »Gut gemacht, Kid! Du bist der Beste! Du bist toll, mein Sohn.« Ich weinte auch.
    Ich hörte die stampfenden Schritte der näher kommenden Anzugmänner, ignorierte sie aber. Kid tanzte umher, sprang unentwegt hoch und landete immer abwechselnd mal auf dem einen, mal auf dem anderen Fuß, so als sei der Fußweg glühend heiß, weswegen er auf jeden Fall oben bleiben müsse, um nicht zu verbrennen und zu Asche zu zerfallen.
    »Bleiben Sie stehen, Stafford!« Einer der Anzugmänner fasste mich beim Arm und zog mich zu sich herum. Er war eindeutig älter und grauer als ich, war weiter gerannt als ich, aber nicht aus der Puste, und er hatte diesen Ex-Soldaten-Blick, der sagte: Ich könnte gleich noch mal von vorn anfangen.
    »Wer sind Sie, verdammt?« Ich versuchte, ihn abzuschütteln. Sein Griff war fest. »Lassen Sie mich los!« Woher wusste er meinen Namen? »Was soll das?«
    Die ersten Schaulustigen blieben stehen. Die New Yorker haben vielleicht alles schon mal gesehen, aber sie sind jederzeit bereit, stehen zu bleiben und es sich noch mal anzuschauen.
    »Sie laufen nicht weg, klar?«, sagte er und lockerte seinen Griff, bis ich mich ihm entwand.
    Jetzt kam der zweite Anzugmann dazu. Er war jünger,schnaufte aber beim Rennen – er hatte sicher zwanzig, dreißig Pfund mehr auf den Rippen, alles um die Leibesmitte, so dass es aussah wie ein aufgeblasener Schwimmring.
    »Scheiße! Ich hab Sie schon mal gesehen!« Das waren die beiden Männer, die mir am Abend zuvor auf dem Weg von Brooklyn zu mir nach Hause gefolgt waren. »Was soll das, zum Henker? Was ist hier los, was wollen Sie?«
    Die Fußgänger bekamen Grün, die Autos blieben stehen. Kid hatte lange genug an sich gehalten. Jetzt konnte er nicht mehr. Er schoss los.
    »Hab ihn«, sagte der Jüngere, sprang vor und schnappte ihn beim Arm. Kid war ebenso überrascht wie ich.
    Er wand sich vor und zurück wie eine Schlange.
    »Lassen Sie die Finger von meinem Kind!« Ich wollte dazwischengehen, doch sofort packte der Erste mich wieder. »Lassen Sie mich!«
    Der andere zog den Jungen an sich, schlang ihm beide Arme um den Leib und hielt ihn fest – so, dass sie die Gesichter einander zugewandt hatten.
    Selbst wenn ich gewollt hätte, es wäre keine Zeit mehr geblieben, ihn zu warnen. Kid kämpfte instinktiv. Fühlte er sich bedroht, rannte er weg. Wurde er geschnappt, griff er an. Jetzt fasste er

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