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Am Fuß des träumenden Berges

Am Fuß des träumenden Berges

Titel: Am Fuß des träumenden Berges Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Peters
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verfilzt. Die Uniform stank und war total verdreckt. Audrey wollte lieber nicht darüber nachdenken, womit diese Jacke in den letzten Tagen in Berührung gekommen war.
    «Ich weiß, was du durchmachst», fügte sie leise hinzu. «Ich weiß, wie schwer das ist.»
    «Was war damals zwischen dir und Benjamin von Hardeberg?» Seine Stimme klang brüchig, und es dauerte einen Moment, ehe Audrey den Sinn der Frage begriff. Verwirrt fuhr sie mit dem Finger den Kreis aus Kondenswasser nach, den das Bierglas in der Mitte des Tischs hinterlassen hatte.
    «Ich weiß nicht, was du meinst.»
    Aber sie wusste es genau.
    Er schüttelte heftig den Kopf. «Ich weiß nur, was du mir
nicht
erzählt hast. Was du mir verschweigst. Ich weiß nur, dass da ein großes, schwarzes Loch ist, in dem die ganze Geschichte begraben liegt.»
    Er lallte.
    «Du bist nicht bei Sinnen.» Audrey stand langsam auf. «Ich bleibe bis morgen Mittag im Muthaigaclub», sie wusste nicht, wie sie sich das leisten sollte, aber das war jetzt egal, «und danach muss ich zurück nach Hause. Wir haben noch einen Sohn, der uns braucht, Matthew. Und …» Sie spürte die Tränen heiß in ihren Augen, widerstand aber dem Impuls, sie wegzuwischen. Seit sie von der Schwangerschaft wusste, passierte es ihr immer wieder, dass sie weinerlich wurde. «Und ein Kind erwarten wir. Im Spätwinter.»
    Er starrte sie dumpf an. «Aha», sagte er, und das war so gar nicht die Reaktion, die sie sich von ihm erhofft hatte, all ihre Worte klangen falsch und zu fröhlich, als wollte sie leugnen, was passiert war.
    Sie verließ fluchtartig die Spelunke. Draußen irrte sie ziellos umher, sie kannte sich hier nicht aus. Diese Stadt wuchs selbst jetzt mit rasender Geschwindigkeit, neue Baracken, neue Straßennamen. Irgendwann blieb sie mitten auf der Straße stehen, winkte eine Laufrikscha und nannte dem jungen Schwarzen die Adresse vom Muthaigaclub.
    Das waren ihre letzten Silberrupien.
    Irgendwie würde sie das alles schaffen.
    Wenn nur Matthew mit ihr heimkam.
     
    Im Club ging sie auf ihr Zimmer und legte sich hin. Sie war müde, sie hatte Unterleibsschmerzen und schwitzte stark. Nach zwei Stunden Schlaf fühlte sie sich besser, aber sie war immer noch benommen.
    Ich bin einfach zu viel in der Hitze herumgelaufen, dachte sie erschöpft.
    Im Muthaiga wurde das Abendessen früh serviert. Die Damen gingen danach in den Salon, die Herren in das Raucherzimmer, die Bar oder ein Spielzimmer. In gewisser Weise war Nairobi sehr britisch. Das mochte sie an dieser Stadt – ein kleines Stück Zivilisation in der Wildnis Ostafrikas.
    Erst als das Essen serviert wurde, erkannte sie, dass sie gar keinen Hunger hatte. Sie dachte nur daran, wie viel ein Dinner im Muthaigaclub kostete: Davon konnte sie zehn Teepflückerinnen eine Woche lang bezahlen. Andererseits musste sie ja keinen Tee pflücken lassen, wenn das Lagerhaus schon aus allen Nähten platzte …
    Sie kannte dieses Gefühl, jede Rupie umdrehen zu wollen. Schon bei ihren ersten beiden Schwangerschaften hatte sie es gehabt, sie hatte alles gehortet, was sie kriegen konnte und war irgendwann so knauserig gewesen, dass Matthew sie scherzhaft «mein kleiner Scrooge» genannt hatte. Das hatte ihr gefallen.
    Dickens.
    Der Schreck fuhr ihr in die Glieder. Hatte Matthew etwa den Dickens aus dem Regal gezogen und den Brief darin gefunden? Kannte er längst die ganze Wahrheit, die sie seit Jahren für sich behielt, die sie selbst Kinyua nur halb hatte erzählen können?
    Der Appetit war ihr endgültig vergangen. Als der Kellner abräumte, erhob sie sich und wollte auf ihr Zimmer gehen. In dem Durchgang zur Eingangshalle tauchte ein Mann auf, dunkle Haare, sauberes Hemd und Stoffhose, lässiger Gang.
    Sie verlangsamte die Schritte. Matthew hatte die Hände in die Hosentaschen gesteckt. Er wirkte … entspannt. Hatte sich gewaschen und rasiert, die Haare waren im Nacken etwas zu lang, und sie verspürte den Wunsch, ihre Hand darin zu vergraben.
    Sie blieb vor ihm stehen. Kam es ihr nur so vor, als seien die anderen Gäste plötzlich leiser geworden?
    «Ich habe …» Er räusperte sich. «Ich habe dich gesucht.»
    «Ja», sagte sie. «Ich habe dich auch gesucht.»
    Er versuchte sich an einem zaghaften Lächeln. Vielleicht war das seine ungelenke Art, ihr zu sagen, dass es ihm leidtat, wie er mit ihr umgesprungen war. Sie wusste es nicht.
    Sie wusste eigentlich nur, dass sie es nicht ertrug, mit ihm im Streit zu liegen. Sie wollte mit ihm zusammen

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