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Am Fuß des träumenden Berges

Am Fuß des träumenden Berges

Titel: Am Fuß des träumenden Berges Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Peters
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Päckchen zu tragen, und das, das sie trug, war nicht zu viel. Sie konnte es gerade aushalten.

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29 . Kapitel
    Sich im Muthaigaclub zu betrinken, ging ein paar Tage gut, danach wurde ihm das Geld knapp. Also hatte er etwas vom Geschäftskonto abgehoben, wie Audrey entsetzt feststellen musste, nachdem sie in Nairobi angekommen war und sich auf die Suche nach Matthew machte. Er hatte eine Schneise aus Alkoholexzessen, Geldverschwendung und Säufergeschichten quer durch die Stadt geschlagen. Wen sie auch fragte, jeder wusste irgendwas beizutragen, und keiner sparte mit guten Ratschlägen.
    Trotzdem dauerte es zwei Tage, bis sie ihn in einer Spelunke im Norden der Stadt fand. Man hätte meinen sollen, dass in einer Stadt wie Nairobi – die nicht mit europäischen Metropolen vergleichbar war, nun wirklich nicht! – ein Mensch nicht so lange untertauchen konnte, wenn man ihn wirklich angestrengt suchte.
    Als Audrey die Blechhütte betrat, schlug ihr ein abartiger Gestank nach Pombe, Erbrochenem und ranzigem Fett entgegen. Die jämmerlichen Gestalten, die an den Tischen jeder für sich saßen, hielten sich an ihren Flaschen fest und tranken, als handle es sich um Wasser und nicht um Hochprozentiges.
    Der Wirt musterte sie feindselig. «Is hier nich für Ladys!», rief er.
    «Ich bleib nicht lange.»
    Sie hatte Matthew entdeckt und trat zu ihm. Er blickte auf, und sie erschrak. Sie wusste nicht, was sie erwartet hatte, aber diese Leere in seinem Blick, dieses Verlorene – das schmerzte mehr als alles andere.
    «Matthew.» Sie sprach ganz leise, aber er reagierte nicht. Audrey zog einen Stuhl heran, wischte mit der Hand über die Sitzfläche und ließ sich behutsam darauf nieder.
    Sofort stand der Wirt neben ihr. «Was wollen Sie?»
    Sie blickte zu ihm hoch. Er war feist, seine Kleidung abgetragen, aber überraschend sauber. Das Geschirrtuch, das im Gürtel steckte, wirkte irgendwie grau, aber was wusste sie schon. Dafür war’s in dieser Höhle viel zu dunkel.
    «Ich möchte nichts, vielen Dank», erwiderte sie höflich.
    «Sie sind hier, also trinken Sie gefälligst was.»
    «Dann bringen Sie mir bitte ein … Bier.» Sie trank kein Bier, aber vielleicht ließ er sie dann in Ruhe.
    «Ein Bier, kommt sofort. Zahlen Sie für den da auch die Zeche?» Er zeigte auf ihren Mann.
    «Ich zahle für ihn, ja.»
    «Hat ganz schön was angehäuft.»
    Sie seufzte. Nachdem er schon das Geschäftskonto leergeräumt hatte, wunderte sie das nicht. Sie hatte auch nicht mehr viel, und wenn kein kleines Wunder geschah – dass zum Beispiel der Krieg von heute auf morgen endete und sie den Tee verkaufen konnte, der in ihrem Lagerhaus bald schon anfangen würde zu schimmeln –, würde sie sich etwas einfallen lassen müssen.
    Eins nach dem anderen, ermahnte sie sich.
    Matthew saß vornübergebeugt am Tisch, das Gesicht gesenkt, den Kopf in die Hände gestützt, die Ellbogen auf der Tischplatte. Sie spürte, wie er sie aus dem Augenwinkel musterte. Als der Wirt das Bier brachte, lehnte sie sich zurück und machte eine einladende Handbewegung. Er zögerte, doch dann überwog die Gier, und er kippte das halbe Glas auf einmal herunter. Der Wirt blieb am Tisch stehen und streckte die Hand aus.
    Widerstrebend knöpfte Audrey ihren Geldbeutel auf und legte ein paar Rupienscheine in seine dreckige Hand. «Na, immerhin», murmelte er und verzog sich wieder hinter den Tresen.
    «Matthew …» Seine Hände hielten das Glas umklammert. Er blickte starr nach vorne. Als sie die Finger auf den Ärmel seiner Uniformjacke legte, zuckte er zurück, als habe er sich an ihr verbrannt.
    «Komm nach Hause, Matthew.»
    Sie wusste, in diesem Stadium halfen weder Vorhaltungen noch Beschimpfungen, kein böses Wort würde es schaffen, ihn aus der Finsternis zu reißen, die ihn umklammert hielt. Darum wartete sie, und als er nicht reagierte, begann sie zu erzählen.
    «Er war so tapfer. Dein kleiner Sohn war mutig und hat keine Angst gezeigt. Aber er hat nach dir gefragt, jeden Tag und jede Stunde.»
    Keine Reaktion.
    «Wir haben ihm ein schönes Grab gemacht. Hinterm Haus unter der großen Bougainvillea. Ich habe ein Stück Land einzäunen lassen, das ist jetzt unser kleiner Friedhof. Ich gehe jeden Tag zu ihm, und jedes Mal sage ich ihm, dass du bald kommst.»
    Matthew kippte das restliche Bier runter und wischte sich mit dem Handrücken über den Mund. Er war bärtig und verwahrlost, die Augen in tiefen Höhlen, die Haare waren

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