Am Fuß des träumenden Berges
lieber in der Masse untergeht, statt aufzufallen.»
Audrey reichte Fanny den Teller mit Eclairs. «Und dass ich nicht so bin, schließt du daraus, weil ich meinem Sohn die … Brust gebe.»
Fanny bemerkte ihr Zögern. Sie lächelte. «Siehst du? Irgendwie ist es für dich doch ungewohnt. Aber das gefällt mir an dir. Du lehnst dich auf.»
Ich lehne mich nicht auf, dachte Audrey. Sie hätte genauso gut Mukami ins Haus holen können, die wenige Tage nach Chris’ Geburt ein wunderschönes, kleines Mädchen zur Welt gebracht hatte. Sie war mit Wakiuru vorbeigekommen, weil Matthew es so wollte, doch Audrey hatte Mukami weggeschickt. Ihr kleiner, gieriger Sohn sollte diesem süßen Mädchen nicht die Milch wegtrinken. Mukami hatte zwar Milch für zwei, aber Audrey hatte die Erleichterung und Dankbarkeit in den Augen dieser Frau gesehen, als sie das Angebot abgelehnt hatte.
Mukami war eine Verstoßene. Im Dorf wollte keiner mehr mit ihr zu tun haben. Sie war fortgelaufen und hatte ihrem Vater, dem mächtigen Ngengi, Schande gemacht.
Vielleicht sollte ich sie zu uns ins Haus holen, wenn auch nicht als Amme, überlegte Audrey.
Nicht nur Fanny kam zu Besuch. An einem hellen, heißen Juniabend kamen kurz vor Einbruch der Dunkelheit Babette und Benedict aus Nairobi wieder. Sie brachten Geschenke: Bücher, Konfekt für die hungrige Mutter, für Matthew dicke Zigarren und einen feinen Wein, den die Männer am Abend tranken, während die Frauen sich früh zur Ruhe begaben.
Am nächsten Morgen stand Audrey sehr früh auf, weil Chris quengelte. Sie stillte ihn und übergab ihn an Njoki, damit diese ihn wickelte. Inzwischen war ihr Sohn vier Wochen alt, ein aufgeweckter, kleiner Kerl, der manchmal Stunden wach und still in seiner Wiege lag und beobachtete, was um ihn herum geschah, ehe ihn die Müdigkeit wieder übermannte.
Audrey hatte ihn zum Fressen gern. Sie hatte nicht gewusst, dass es etwas geben konnte, das größer war als ihre Liebe zu Matthew.
Leichtfüßig lief sie in ihren zarten Pantoffeln durchs Wohnzimmer. Auf der Veranda hörte sie Stimmen, obwohl es gerade erst hell geworden war.
«Benedict, nicht!»
Audrey blieb stehen. Meine Güte, war das Fanny? Machte sich Benedict etwa an ihre Freundin heran?
Sie wollte schon auf die Veranda stürzen und ihr zu Hilfe eilen, als Benedict antwortete.
«Warum nicht, Babette? Ich hab dich doch so lieb!»
Babette? Waren das wirklich die beiden Geschwister da draußen?
Audrey hielt die Luft an. Unvorstellbar. Nein, das musste ein Irrtum sein.
«Ich hab dich auch … lieb.» Audrey hörte Schritte, dann ein Rascheln. «Aber du weißt doch, dass es nicht sein darf.»
«Warum nicht? Weil du es nicht willst? Du erzählst allen, wir wären Zwillinge! Wie ungerecht ist das, dass wir niemandem die Wahrheit sagen dürfen!»
«Du willst die Wahrheit erzählen?» Babettes Stimme war nur ein Zischen. Audrey hielt unwillkürlich die Luft an, damit ihr kein Wort entging. «Bitteschön. Bitte, dann stell dich in Nairobi in den Muthaigaclub und sag ihnen, dass du und ich, dass wir nur Halbgeschwister sind. Dass unser Vater unbedingt rumhuren musste mit meiner Mutter.»
«Babette …»
«Und erzähl ihnen gleich auch noch, dass deine Mutter meine Mutter so sehr gehasst hat, dass sie mich ihr weggenommen hat. Dass ich nur deshalb mit dir aufgewachsen bin, weil sie sich an uns allen rächen wollte – an Vater, mir und meiner Mutter.»
«Aber ich würde alles für dich tun …»
«Wirklich, alles?» Plötzlich klang Babette sehr traurig. «Dann lass mich bitte einfach los. Bitte, Ben, ich will mein eigenes Leben leben dürfen. Ich will vergessen dürfen, dass ich dich so sehr liebe, dass es mir alles andere unmöglich macht. Geh. Verlass mich. Tu irgendwas, damit ich weiterleben kann.»
Stille. Audrey schloss die Augen. Sie drehte sich um und lief ganz leise zurück ins Speisezimmer. Dort öffnete sie die Tür, ließ sie leise ins Schloss fallen und ging zurück zum Wohnzimmer.
Als sie auf die Veranda trat, saßen Babette und Benedict einander gegenüber am Tisch. Benedict las eine Zeitung, während Babette strickte. Als sie Audrey sah, hielt sie das Strickstück hoch. «Sieh nur, das ist für den Kleinen.»
«Es ist wunderschön», sagte Audrey automatisch. Benedict raschelte mit der Zeitung. Er wirkte gänzlich unbeteiligt. Nur Babettes gerötete Wangen und die glänzenden Augen verrieten ihr, dass sie tatsächlich gerade Zeugin eines Streits geworden war.
Jeder
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