Am Fuß des träumenden Berges
Er schaute an ihr vorbei.
«Ist er auch zurück?», fragte sie leise.
Sie scheute sich, an dieses empfindliche Thema zu rühren.
«Er hat sie hier abgesetzt und ist wieder verschwunden. Keine Ahnung, wo er sich jetzt herumtreibt. Sollte ich ihn aber jemals in die Finger kriegen, werde ich diesem Mann gehörig die Leviten lesen. Er hat eine junge Kikuyufrau schwanger sitzengelassen, und außerdem schuldet er mir den Brautpreis, den ich an Ngengi habe zahlen müssen.»
«Christian muss getauft werden», sagte sie leise.
«Ich kümmere mich darum.» Er betrachtete sie. Dann schüttelte Matthew den Kopf. «Ich hätte nicht gedacht, dass es so ist.»
Sie fragte nicht, was er meinte, weil sie glaubte, es genau zu wissen.
Nichts hatte sie auf das hier vorbereitet. Das Muttersein war wie eine Urgewalt über sie hereingebrochen, und plötzlich war jede ihrer Handlungen, jede Bewegung, selbst im Schlaf, davon geprägt, ob es für ihr Kind gut war oder nicht.
«Wir werden uns bestimmt schon bald daran gewöhnen», versprach sie ihm.
«Wenn du möchtest, esse ich heute Abend hier bei euch im Schlafzimmer. Etwas unkonventionell», er lachte verlegen, «aber ich habe einfach keine Lust, allein im Speisezimmer zu sitzen, wenn ich bei euch sein kann.»
«Das wäre schön.»
«Dann gebe ich in der Küche Bescheid. Gibt es sonst noch etwas? Brauchst du irgendwas?»
«Ich habe alles», sagte sie glücklich.
Und nie hatte sie es so ehrlich gemeint wie an diesem Abend.
Mit dem Kind kam Leben ins Haus.
Schon am nächsten Morgen versammelten sich die Teepflückerinnen vor der Veranda, weil sie das kleine Menschenkind begrüßen wollten. Sie sangen für Christian, und Audrey lauschte und lächelte.
Die Liebe zu diesem fremden, schönen Land wurde ihrem Kind mit jedem Lied in die Wiege gelegt.
Am zweiten Morgen kamen die Frauen zurück, und wieder standen sie eine Stunde vor dem Haus und sangen ihr sonderbares Lied. Es war wie ein Zauber, den sie webten: ein Chor aus Stimmen, aus dem immer wieder eine hervorstach, von einer anderen abgelöst wurde und immer so weiter, ohne dass ein Muster erkennbar war.
Sie zogen nach einer Stunde ab, und Audrey, die im Morgenmantel im Wohnzimmer gestanden und gelauscht hatte, drückte Chris fest an sich. «Morgen begrüßen wir sie», versprach sie ihrem Sohn.
Genauso machten sie es. Als am dritten Morgen die Kikuyufrauen kurz nach Sonnenaufgang im Halbkreis vor dem Haus Aufstellung nahmen und ihr Lied anstimmten, saß Audrey bereits angezogen auf dem Bett und wartete. Sie nahm Chris aus der Wiege und ging nach draußen.
Sie unterbrachen ihr Lied nicht, als Audrey zu ihnen kam. Aber ihre Gesichter strahlten, und sie lächelten und drängten sich um sie. Hände strichen über Christians Köpfchen, und die Frauen nickten Audrey zu, als wollten sie ihr sagen: Das hast du gut gemacht, wir sind stolz auf dich. Du gehörst zu uns.
Aber nicht nur die Kikuyu kamen zu ihr. Eine Woche später traf Besuch ein, mit dem Audrey nicht gerechnet hatte. Und auch Fanny hatte wohl nicht damit gerechnet, dass sie die erste Weiße sein durfte, die Audrey zur Geburt ihres Sohns gratulierte.
Sie hatten in den letzten zehn Monaten versucht, den Kontakt zueinander nicht abreißen zu lassen, was nicht so leicht gewesen war. Denn während Audrey auf The Brashy weilte und sich höchstens mal für eine Woche nach Nairobi oder auf Safari begab, war Fanny von ihrem Liebhaber und dessen Familie durch die halbe Welt gescheucht worden. Bis, ja … bis irgendwas passierte, das Fanny nicht ertrug, weshalb sie ihn verließ, ihre Sachen packte und nach Ostafrika reiste. Allein.
Bis sie bei Audrey vor der Tür stand, unangekündigt und nur mit einem kleinen Köfferchen, weil sie alles Gepäck in Nairobi hatte einlagern lassen.
«So konnte ich schneller zu dir kommen», erklärte sie und umarmte Audrey fest. «Du glaubst ja nicht, wie hinderlich es ist, mit drei großen Schrankkoffern zu reisen! Und wie gut es tut, den Ballast abzuwerfen und unter freiem Himmel zu schlafen.»
«Bist du allen Ernstes allein gereist?» Audrey wäre schockiert gewesen, wenn sie Fanny nicht besser kennen würde.
«Ich hab mir in Mombasa ein Mädchen gesucht. Eine Somali, die sehr gut Englisch spricht und ein bisschen Kikuyu. Du siehst, ich war nicht allein.»
Audrey schüttelte den Kopf. Mit einer Somalifrau! Wenn das die Damen in Nairobi hörten, würde Fanny in Rekordzeit den Ruf weghaben, sehr wunderlich zu sein.
«Du hättest dir
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