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Am Fuß des träumenden Berges

Am Fuß des träumenden Berges

Titel: Am Fuß des träumenden Berges Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Peters
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Mensch hat Geheimnisse, dachte sie.
    Jeder.
    Ob nun Benedict und Babette, Fanny oder sie – jeder trug schwer an einer Vergangenheit, die ihnen auch in der Gegenwart keine Ruhe ließ.
    Sie fragte sich, was wohl Matthews Vergangenheit mit ihm angerichtet hatte.
    Mukami war zurück, von einem Weißen geschwängert und eines Morgens vor dem Dorf ausgesetzt, wie die Wazungu es vielleicht mit ihren Hunden taten, die in den Straßen von Nairobi streunten.
    Ngengi hatte sich geweigert, seine Tochter wieder in den Dorfverband aufzunehmen. Er hatte sie bespuckt, und als sie danebenstand, hatte er allen laut erzählt, er habe keine Tochter mehr, sie sei vor Jahresfrist verschwunden. Dann stapfte er davon und blieb wochenlang fort.
    Nach zehn Tagen hatte Wakiuru das Mädchen zurück ins Dorf geholt. Sie gab ihr zu essen, einen Schlafplatz in ihrer Hütte und viel Arbeit für Hände, die zu lange müßig gewesen waren. Ein Zuhause.
    Kinyua zerbrach sich nicht den Kopf darüber, was aus Mukami werden sollte. Das ging ihn nichts an. Außerdem hatte er Wichtigeres zu tun. Seine Schwester würde schon richtig entscheiden.
    Er hatte bei seiner letzten Reise nach Nairobi ein paar Silberrupien zusammengekratzt und sich etwas gekauft, mit dem er nichts anzufangen wusste. Lange hatte er darüber nachgedacht, ob das wirklich so wichtig war für ihn, und noch länger hatte er gehadert und sich geärgert – obwohl ihn daran weniger störte, dass er Geld verschwendet hatte, denn solange die Felder genug Nahrung boten und er nachts ein Dach über dem Kopf hatte, war ihm das, wonach die Wazungu gierten, recht egal.
    Nein, er wusste nicht, was er mit diesem fremden Ding machen sollte. Er wusste, welchem Zweck es diente, deshalb hatte er den Händler ja danach gefragt. Doch allein kam er damit nicht weiter, sosehr er sich auch darum bemühte.
    Also ging er zu Bwana Winston auf die Farm.
    Der Bwana war sehr beschäftigt, aber er war auch sehr glücklich, seit seine Frau ihm einen gesunden Sohn geschenkt hatte. Kinyua hatte Wakiuru und die anderen zum Haus gebracht und vor der Veranda auf dem Boden gehockt und gewartet, bis sie dem Kind des Bwana auf die Welt geholfen hatten. Er hatte die Schreie der Memsahib gehört und sich gewundert. Die Frauen seines Stamms bekamen ihre Kinder leise, sie machten so wenig Lärm wie nur möglich.
    Aber vielleicht war für eine Weiße das Kinderkriegen auch anstrengender als für seinesgleichen. Vielleicht gab es deshalb so wenig weiße Menschen auf der Welt und so viele Kikuyu, Massai, Luo oder Somali.
    An dem Tag war er heimgegangen und hatte das, was er seit Wochen unter seiner Schlafmatte in ein Tuch eingewickelt verborgen hatte, herausgeholt. Er wollte mehr wissen über die Weißen. Warum sie ihre Geschichten nicht weitergaben, sondern in Büchern versteckten. Was das für Geschichten waren, die sie sich erzählten, dass eine Frau wie die Memsahib sich diese Bücher vom anderen Ende der Welt kommen ließ.
    Das mussten schon sehr gute Geschichten sein, wenn sie deshalb so viel Aufwand betrieben.
    Kinyua traf den Bwana im Stall an. Der Bwana war ein armer Mann, er hatte gerade mal fünfzig Rinder, die er sein Eigen nannte, Ochsen und ein paar Milchkühe, aus deren Milch der Koch Käse bereitete, Quark und Joghurt.
    «Hast du Zeit, Bwana?» Kinyua blieb vor dem Verschlag stehen.
    «Ist grad schlecht, Kinyua.»
    Das sah Kinyua auch. Der Bwana steckte bis zum Oberarm in den Eingeweiden einer hochträchtigen Kuh. Die Flanken des Tiers zitterten, und Schweiß glänzte auf dem Gesicht des Bwana. Neben ihm hielt ein Stalljunge den Kuhschwanz.
    Endlich schien der Bwana zufrieden, er zog die Hand heraus. Jetzt sah Kinyua, dass er einen Gummihandschuh trug, der ihm bis an die Schulter reichte. «Ist es wichtig?»
    Die Wazungu ekelten sich vor vielem. Bei Kuhmist konnte Kinyua es ihm wenigstens nicht verdenken.
    Bwana Winston zog den Handschuh aus und klopfte dem Stallburschen auf die Schultern. «Lassen wir sie allein, das Kälbchen müsste jetzt ohne Probleme kommen.»
    «Es ist sehr wichtig.»
    «Dann komm.» Er wusch sich in einem Eimer die Hände, schüttelte sie ab und trat nach draußen. Kinyua folgte ihm. Er hielt das Päckchen eng an sich gedrückt.
    «Hier.» Er überreichte es dem Bwana.
    Dieser wickelte das Päckchen aus und runzelte die Stirn. «Das ist … nett», sagte er vorsichtig. «Ist das …?»
    «Ich will lesen lernen», sagte Kinyua hastig. «Bring es mir bei, Bwana.»
    «Lesen?» Das

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