Am Fuß des träumenden Berges
heiraten wollen und das Schicksal ihnen dazwischengefunkt hatte.
Mehr brauchte sie nicht zu wissen. Jetzt war ihr klar, warum Audrey damals an Bord des Schiffes so traurig gewesen war. Warum sie sich zu dieser jungen Frau so hingezogen gefühlt hatte.
Sie beide trugen schwer an dem, was das Leben ihnen aufbürdete.
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20 . Kapitel
Natürlich behielt Fanny recht. Schon am nächsten Tag erfuhr Matthew, dass da etwas gewesen war bei der Teeparty der Tuttlingtons. Von einem preußischen Offizier wusste er ebenso wie von einer halben Stunde auf der Terrasse, die sich über Nacht auf wundersame Weise zu einer ganzen Stunde ausgedehnt hatte.
Sie hätte es ihm vor dem Frühstück erzählen sollen, denn als er den East African Standard aufschlug, sprang ihm ihr Name auf Seite fünf schon direkt ins Auge.
Sie hörte, wie er sich hinter der Zeitung räusperte. Sie saßen im Frühstückszimmer im Muthaigaclub, und sie waren selbstverständlich nicht allein. An den anderen Tischen saßen einige bleiche Gestalten, die sich gestern doch etwas zu lange bei den Tuttlingtons vergnügt hatten. Indische Diener schlichen lautlos über den dicken Teppich und servierten Tuttlington-Kaffee und Alka Seltzer.
«Möchtest du mir das erklären?» Er lächelte, als er ihr die Zeitung reichte.
Sie nahm die Zeitung und überflog die Gesellschaftsspalte. Natürlich klang es dramatisch, ohne jedoch irgendwelche Lügen zu verbreiten.
«Ich kenne ihn von früher», sagte sie vorsichtig. Das Beste war, wenn sie nicht zu viel erzählte. Matthew wusste schließlich, dass sie vor der Ehe verlobt gewesen war. Sie hatte aber nie Veranlassung gehabt, ihm von dieser Zeit mit Benjamin zu erzählen. Und jetzt war es dafür zu spät. Er würde es nicht verstehen oder sich unnötig Sorgen machen.
«Was die in der Zeitung draus machen, ist wirklich eine Unverschämtheit», sagte er, als sie ihm die Zeitung zurückgab. Er verschanzte sich wieder dahinter. «Ich werde mit Warren darüber reden. Der soll seine Leute in Zaum halten, dass sie nicht so über meine Frau schreiben.»
Einen Moment lang war es still. Dann schnaubte Matthew. «Ich meine, hör’s dir doch an: ‹Die junge, schöne Audrey W. begegnete bei der gestrigen Teegesellschaft im Hause der Geschwister Tuttlington dem deutschen Offizier Benjamin von H. und unterhielt sich stundenlang sehr angeregt mit ihm. Wo ihr Mann derweil war, weiß niemand. Wir fragen: Mögen Sie die Deutschen, Mrs. W.?› – Das ist doch eine Frechheit.»
«Mal abgesehen davon, dass jeder wissen wird, dass ich damit gemeint bin.» Audrey winkte einen Kellner heran und bestellte frisches Rührei und einen kleinen Obstsalat. Jetzt, da Matthew so souverän auf die Zeitungsnotiz reagiert hatte, kehrte ihr Hunger zurück.
Sie hatte wirklich befürchtet, er könne ihr eine Szene machen. Aber das war eben nicht Matthews Art.
Er legte die Zeitung weg und nahm ihre Hand. «Wenn du willst, geh ich noch heute Mittag ins Redaktionsbüro und verlange, dass sie eine Gegendarstellung drucken. Dich in die Nähe dieses … Preußen zu stellen, ist wirklich eine Frechheit. Wenn das so weitergeht, fragen sie morgen, ob du für die Deutschen spionierst, und übermorgen habe ich keine Frau mehr, sondern nur noch eine ‹falsche Schlange›. Glaub mir, ich weiß, wie diese Leute denken. Und nur weil hier in Ostafrika selten was Aufregendes passiert, müssen diese Schmierfinken wohl kaum anfangen, sich irgendwas aus den Fingern zu saugen.»
«Das ist lieb von dir.» Sie verschränkte ihre Finger mit seinen. «Aber mir ist es lieber, wenn wir kein Aufhebens davon machen. Schau, die werden sich ein anderes Thema suchen, wenn nichts weiter passiert.»
Matthew wollte zu einer Antwort ansetzen, als seine Miene sich verfinsterte. Audrey drehte sich halb um.
In der Tür stand – Benjamin. Schneidig in Uniform, der Schnauzbart akkurat gestutzt, die dunkelblonden Haare sorgfältig gescheitelt. Eine Hand ruhte auf der Hüfte, dort, wo sonst sein Zeremoniensäbel war. Er wandte den Kopf nach links und nach rechts, als wollte er sich die einzelnen Gesichter ganz genau einprägen.
Es wurde plötzlich ganz still im Saal. Ein Löwe hätte geglaubt, in diesem Raum sei niemand. Nur zwei Dutzend Statuen.
Als Benjamin sie bemerkte, gab er sich einen Ruck und ging zu Matthew und Audrey herüber.
«Na, wunderbar», murmelte Matthew.
Sie verstand ihn. Sie hätte die beiden Männer auch lieber miteinander bekannt gemacht,
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