Am Fuß des träumenden Berges
sich zu ihr und küsste sie auf den Mund. «Wirklich, ich bin stolz auf dich. Wie du das alles meisterst, ganz allein hier draußen …»
«Ich hab doch Hilfe», wehrte sie bescheiden ab.
«Trotzdem. Andere Frauen verkriechen sich in der Stadt, und die Plantagen liegen brach, wenn es keinen fähigen Verwalter gibt.» Er wurde ernst. «Randolph … Wir haben bisher nur wenige Verluste erlitten, aber er gehörte dazu.»
Audrey schlug die Hände vor den Mund. Sprachlos starrte sie Matthew an. Sie hatte nie viel zu schaffen gehabt mit Randolph, und sie hatte ihn auch nicht besonders gemocht. Er war ein grobschlächtiger, widerlicher Kerl, der sich viel zu gerne als Herr einer Welt aufschwang, die ihm nicht gehörte. Aber von seinem Tod zu erfahren, empfand sie als schreckliche Ungerechtigkeit. Niemand sollte in diesem Krieg sterben.
«Hast du gewusst, dass er verheiratet war? Mir kam die Aufgabe zu, seiner Witwe zu schreiben und ihr seine Sachen zu schicken. Ich sag’s dir, das war der schrecklichste Brief, den ich je schreiben musste, und jetzt noch wird mir heiß und kalt, wenn ich nur daran denke.»
«Hoffentlich ist der Krieg nur bald vorbei», murmelte sie.
Matthew seufzte. «Liest du die Zeitungen?»
«Ja, aber ich verstehe nicht alles, was sie schreiben.»
«Ich glaube nicht, dass dieser Krieg schnell zu Ende geht. Was in Nordfrankreich passiert, ist so anders als alle Kriege zuvor.»
Audrey nickte beklommen. Sie musste an John denken. Ihr Bruder und sie hatten sich nie besonders nahegestanden, aber seine Briefe klangen so aufgesetzt fröhlich, dass sie spürte, irgendwas war da im Norden Frankreichs, das die Männer veränderte. Sie hätten sich eingebuddelt, schrieb John, und sie warteten auf den Fritz, der kam oder eben nicht. Scharmützel hätte man es früher genannt. Jetzt schrieb John von einem Stellungskrieg. Für die Gräuel fand er keine Worte. Er deutete sie nur an.
«Dann kommst du also nicht so bald wieder heim», seufzte sie.
Er zog sie in die Arme. «Jetzt bin ich ja hier.»
«Und dann bist du wieder fort.»
«Dann lass uns die Zeit genießen, die wir haben.»
Und das taten sie. Drei Tage, an denen Audrey sich nicht sorgen musste. Sie überließen die Plantage sich selbst und Kinyuas Aufsicht und verbrachten diese Zeit fast ununterbrochen zu viert. Nach anfänglichem Fremdeln war Chris glücklich, seinen Vater wieder zu haben, und Thomas, der seinen Vater noch gar nicht hatte kennenlernen dürfen, freundete sich schon nach wenigen Stunden mit ihm an, als gebe es für ihn nur diesen Mann auf der Welt.
Den Nachmittag verbrachten sie draußen. Die Boys spannten auf dem Rasen ein Sonnensegel auf, sie servierten Limonade und Kekse, und die Familie lümmelte sich auf eine Decke. Während Chris ausgelassen tobte und Thomas sich abwechselnd an Audrey oder Matthew schmiegte, erzählten sie einander, was sie erlebt hatten.
Viel zu schnell vergingen die drei Tage, und schon stand Audrey im Morgengrauen des vierten Tages vor dem Haus. Dichter Nebel war vom Berg herabgekrochen. Matthew schwang sich in den Sattel und tippte ein letztes Mal zum Gruß an den Hut, und sie fragte sich, warum das alles so war.
Sie hatte ihn nicht nach Celias Briefen gefragt, und er hatte nicht erzählt, dass er etwas von ihr gehört hatte. Sie schlichen um dieses Thema herum, ignorierten es wie den Krieg. Wie ihre Vergangenheit.
Unser gemeinsames Leben hat erst damals im Hafen von Mombasa begonnen, dachte sie traurig. Was immer davor war, teilen wir selbst heute nicht miteinander.
Aber sie hatte es so gewollt. So und nicht anders.
Erst als Matthew fort war, kam Kinyua wieder und setzte sich morgens zu ihr auf die Veranda. Und jetzt erst ging ihr auf, wie merkwürdig es war, dass er bei ihr saß, mit ihr frühstückte und dass sie den ganzen Tag zusammen waren. Sie vermisste Matthew, aber zugleich wusste sie, dass es für sie nach Matthews endgültiger Heimkehr nicht mehr so sein würde wie jetzt. Dass dann Kinyua verschwinden würde aus ihrem Leben, ebenso wie Mukami. Dann wäre da wieder diese Grenze zwischen ihr und der Teeplantage, die sie nur verwalten durfte, weil sonst niemand da war, der sich kümmerte.
Sie hatte Kinyua ihr Geheimnis anvertraut. Ihm hatte sie von dem tragischen Unfall vor fünf Jahren erzählt, der Alfred fast das Leben gekostet hatte. Nicht Matthew. Auch Kinyua kannte nicht alle Details, aber sie hatte sich zuerst ihm geöffnet.
Warum? Tat sie das, weil sie es einfach irgendwem
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