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Am Fuß des träumenden Berges

Am Fuß des träumenden Berges

Titel: Am Fuß des träumenden Berges Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Peters
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möglich?» Kinyua schien das schwer vorstellbar.
    Die Memsahib zögerte. Schließlich gab sie sich einen Ruck. «Es war ein Unfall», sagte sie. «Es passierte, als er neun war. Am Meer … Hast du schon mal das Meer gesehen?»
    Er schüttelte den Kopf. Für ihn war das Meer ungefähr so phantastisch wie das kalte Weiß auf dem Gipfel des Leuchtenden Bergs.
    «Er ist mit einem Boot hinausgerudert. Das Boot kenterte, und er … er ertrank beinahe.»
    Ihre Hand zitterte, als sie nach der Teetasse griff. Kinyua beugte sich vor und legte seine Hand auf ihre. «Das tut mir so leid», sagte er leise.
    Sie zuckte unter seiner Berührung zusammen.
    Beide schwiegen lange, ehe die Memsahib wieder das Wort ergriff. «Wir holten ihn aus dem Wasser, und er war so bleich, die Lippen blau. Wir haben versucht, ihn wieder zum Leben zu erwecken, aber … Und dann gelang es, irgendwie fing er wieder an zu atmen, aber er war nicht mehr bei Verstand. Erst schlief er tagelang, und wir wussten nicht, ob er überhaupt wieder aufwacht. Ich hatte solche Angst um ihn. Und als er wieder wach war …» Sie schluckte und zog aus der Schürzentasche ein Taschentuch. Kinyua wartete, bis sie sich geschnäuzt hatte und weitersprach. «Er ist seither wie ein Kleinkind. Sein Verstand … die Ärzte sagen, sein Verstand habe gelitten, weil er so lange ohne Sauerstoff war.»
    So ganz verstand Kinyua nicht, was sie damit meinte. «Nyakio war nie im Meer. Sie war nicht so tot wie dein Bruder, Memsahib.»
    «Nein …» Sie blickte auf, und ihr Blick wirkte alt. «Wir brachten Alfred danach in ein Sanatorium, und dort haben sie uns viel über Geisteskrankheit … über den kranken Geist erzählt. Manche Menschen sind von Geburt an so. Und andere erst nach einem Unfall, oder man merkt es erst, wenn sie älter werden, weil ihr Geist in einem Alter verharrt oder sich so viel langsamer entwickelt als der aller anderen Menschen.»
    Das verstand Kinyua. «Sie ist ein Kind. Im Herzen und im Verstand.»
    Vieles war ihm jetzt verständlicher. Warum sie nicht taugte, die Pflichten im Haus zu erfüllen, oder die Arbeit, die man ihr auftrug, immer wieder vergaß oder schludrig ausführte. Ein Kind würde ähnlich handeln.
    «Was kann ich dagegen tun? Sie ist ein liebes Mädchen, ich will sie nicht verstoßen.»
    «Dann behandle sie eher wie deine Tochter und nicht wie eine deiner Frauen. Das wäre mein Rat», sagte sie leise.
    Er nickte. «Dann habe ich wohl keine Frau mehr», sagte er leise.
    Und Mukami war fort.
    «Dann bin ich jetzt so einsam wie du, Memsahib», sagte er.
    «Wir sind nicht einsam», erwiderte sie leise. «Wir sind nur etwas verloren in dieser Welt, in der sich alles um den Krieg dreht. Wir sind an den Rand gedrängt. Aber einsam sind wir nicht.»
    Er widersprach nicht. Doch als er später ging und Nyakio an der Hand mit sich führte, fühlte er sich ganz allein. Und er war sicher, ihr ging es nicht anders.
     
    Früher war Bwana Winston für ihn ein Stern in der Ferne gewesen, um den sich alles drehte. Die Memsahib aber war seine Sonne. Sie bestimmte seine Tage, und an sie dachte er nachts, wenn er nicht einschlafen konnte. War ihm anfangs der Gang zum Haus schwergefallen, weil alles so fremd war, saß er jetzt wie selbstverständlich mit ihr beim Frühstück. Ging er danach über die Felder, war sie an seiner Seite, den Jüngsten auf dem Arm, während der Dreijährige um sie herumlief und im Gebüsch winzige Echsen fing oder Teeblätter abriss und sie ihr stolz zeigte. Seine Tage waren gefüllt mit ihrer ruhigen Stimme und ihrem traurigen Lachen. Die Nächte waren leer ohne sie.
    Er vergaß den Bwana. Für ihn gab es nur noch Memsahib Audrey.
    Bis er an einem Morgen im Mai zum Haus kam und sie nicht allein auf der Veranda saß.
    Er verlangsamte seine Schritte und blieb stehen. «Guten Morgen», sagte er, und beide schauten auf.
    Bwana Winston war braungebrannt, seine Augen funkelten. Er sprang sofort auf. «Wenn das nicht der beste Verwalter ist, den die Farm bekommen konnte!» Er sprang die Stufen herab und streckte Kinyua die Hand entgegen. «Sei bedankt für deinen Einsatz, Kinyua.»
    «Das meiste macht die Memsahib», behauptete Kinyua, obwohl auch das nur die halbe Wahrheit war. Das meiste machten sie nämlich gemeinsam.
    «Das hat sie von dir auch behauptet.»
    Die Memsahib saß auf der Veranda. Kinyua blieb unten stehen. «Wir können später zur Plantage gehen», sagte er, gerichtet weder an den Bwana noch an die Memsahib. «Bist du

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