Am Grund des Sees
Trance, trat Francesca ein. Sie hatte nicht einmal versucht, Calgari zu überrumpeln. Der Anwalt richtete seine Waffe auf sie und lächelte.
»Wie schön, unser lieber Contini hat auch seine Freundin mitgebracht …«
Contini begriff nicht. Sein Gehirn sandte absurde Signale aus, Wutblitze. Los, schrie es, tu was, versuch ihm die Waffe abzunehmen …!
Zu spät.
Warum hatte Francesca, wenn sie schon hereinkam, nicht zu kämpfen versucht? Warum lieferte sie sich aus? Jetzt würde auch sie sterben. Jetzt war wirklich alles vorbei, nichts mehr zu machen. Und während die Spannung wieder von ihm wich, vernahm Contini ein Geräusch hinter sich, ganz leicht, wie ein Kratzen an der Fensterscheibe. Anscheinend hatte außer ihm niemand etwas gehört.
Mit erhobener Pistole trat Calgari auf Francesca zu. Contini war jetzt links von ihm, nicht mehr in direkter Schusslinie. Und es war Signora Fontana, die es hinten in ihrer Ecke als Erste bemerkte und die Augen aufriss, als die Fensterscheibe zerbarst.
In der Stille war der Lärm ohrenbetäubend. Ein scharfes Knacken und unmittelbar darauf das Splittern und Klirren einer Kaskade von Glasscherben, die sich auf den Boden ergoss. Jäh fuhr der Anwalt herum und zielte auf die Silhouette, die auf dem Fensterbrett aufgetaucht war.
Erkannte Calgari seinen jungen Mitarbeiter Malfanti? Schwer zu sagen. Chico war über und über mit Schnee bedeckt, und in dem Sekundenbruchteil, den Calgari brauchte, um sich mit schussbereiter Waffe zu ihm umzudrehen, kauerte er in seiner dicken Winterjacke, blankes Entsetzen im Gesicht, auf dem Fensterbrett und rührte sich nicht.
Contini reagierte sofort. Sein Gehirn beschleunigte den Takt, versetzte ihm einen Peitschenhieb, und im nächsten Moment hatte er sich auf Calgari gestürzt und seinen Arm gepackt. Die beiden Männer fielen zu Boden. Nimm ihm die Pistole ab!
Chico sprang vom Fensterbrett und sah sich leicht verwirrt um. Die gefesselte Adele versuchte ihren Knebel loszuwerden. »Hierher, schnell!«, rief Francesca und trat auf die beiden Männer zu, die vor dem Schreibtisch miteinander rangen - Contini versuchte, dem sich heftig wehrenden Calgari die Pistole zu entwinden und zugleich zu verhindern, dass ein sich womöglich lösender Schuss einen Menschen traf. Chico kam näher. Während Contini dem Anwalt den Arm auf den Rücken zu drehen versuchte, fiel sein Blick auf seine Walther, die neben den Papieren auf dem Schreibtisch lag: unerreichbar für ihn, wenn er nicht seinen Griff lockern wollte.
Chico warf sich ins Getümmel. Er packte Calgari an den Schultern, überrumpelte damit aber auch Contini: Calgari entwand sich ihm mit einem Ruck und fiel auf Chico, beide stürzten rücklings zu Boden. Contini griff nach seiner Pistole auf dem Schreibtisch und entsicherte sie.
Mit einem erstickten Laut richtete Calgari sich auf. Chico packte die Pistole und versuchte sie ihm zu entreißen. Einen Moment lang sahen die beiden einander an, dann riss der Anwalt ein Knie hoch, und Chico, in den Unterleib getroffen, sank aufstöhnend in sich zusammen.
Keuchend, die Pistole in der Hand, machte Calgari einen Schritt. Im selben Augenblick, in dem er sich umdrehte, schoss ihm Contini in die Brust.
Die Wucht des Einschlags ließ den Anwalt rückwärts taumeln. Seine Augen weiteten sich vor Verblüffung. Noch einmal versuchte sein rechter Arm die Pistole zu heben, doch es gelang nicht; sein Blick wurde glasig, er fiel auf die Knie und sank gleich darauf seitlich zu Boden. Ein Rinnsal Blut floss aus seinem Mund.
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Noch ein Letztes
Nachtrag.
Lieber Elia, noch ein Letztes muss ich dir sagen. Nein, eigentlich sind es zwei Dinge. Zum einen wirst du dich sicher gefragt haben, warum ich nicht einfach mit dir rede, sondern schreibe.
Ich habe mich vor dem Gespräch gefürchtet. Ich dachte, ich würde mich nicht klar ausdrücken können, könnte Details vergessen, mich verheddern. Jetzt kehre ich nach Spanien zurück, wo mein Leben ist, meine Familie. Aber es würde mich sehr, sehr freuen, wenn du mich vor meiner Abreise noch mal besuchen magst. Bitte komm! Vielleicht kann ich mich dir jetzt, nachdem ich dir alles aufgeschrieben habe, auch persönlich erklären.
Das andere, das ich dir sagen will, betrifft den armen Andrea Porta. Damals, vor zwanzig Jahren, nachdem Calgari seine Drohungen ausgesprochen hatte und gegangen war, wollte ich ebenfalls fort, in dem Moment aber entdeckte ich den Herrn Porta. Du erinnerst dich sicher an ihn, du warst ja mit
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