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Am Grund des Sees

Titel: Am Grund des Sees Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Fazioli
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Angst, wollte aber schneidig sein und sagte: Alles hab ich gehört!
Calgari kam auf mich zu, aber er war irgendwie unschlüssig. Erst im Nachhinein sehe ich, wie hirnverbrannt das war. Sicher hätte er auch mich gern erschossen, aber hier im Freien riskierte er nichts. Er flüsterte: Morgen ist alles vorbei. Dann fügte er hinzu: Du willst den Jungen doch aufwachsen sehen, oder? Im ersten Moment begriff ich nicht, doch es wurde mir schnell klar, wen er meinte. Diese Drohung war es, die mich bewog, mich erst deiner anzunehmen und dann, als du erwachsen warst, nach Spanien auszuwandern. Du bist der Grund, weshalb ich gegangen bin, auch wenn es dir absurd vorkommt: Ich wollte dir helfen.
    »Ein Glück, dass niemand dieses Gefasel zu lesen bekommt«, sagte Calgari und ließ die gelesenen Seiten angewidert vor sich auf den Tisch fallen. »Diese Alte war eine Verleumderin und eine öffentliche Gefahr. Stimmst du mir zu?«
    Hin und wieder stellte er ihr eine Frage. Wie ein Irrer, dachte Adele, obwohl sie wusste, dass alles Theater war, ein Versuch wie jeder andere, sie einzuschüchtern. In Wirklichkeit dachte er völlig klar und kalkulierte die Zeit. Und ob verrückt oder nicht, es würde jedenfalls nichts daran ändern, wie die Sache ausging.
    Sie sagte nichts. Auf dem Boden kniend blickte sie auf die verstreuten Papiere und hoffte, dass Calgari noch lange las.
    Aber sie sah, dass nur noch wenige Zeilen übrig waren. Das Ende des Briefes kam näher. Ihr Magen schnürte sich zusammen, es bildete sich ein Klumpen der Übelkeit, der sie daran hinderte, zu denken, zu reden, sich zu bewegen. Sie war vor Angst wie gelähmt, sie wollte nicht so sterben …
    Ich will nicht sterben. In Gedanken lehnte sie sich noch auf, im Herzen war sie schon im Begriff zu kapitulieren. Tief im Inneren wagte sie nicht mehr zu hoffen. Auch wenn Contini …
    Sie vernahm ein leises Knarzen. Neue Hoffnung flammte in ihr auf. Nein, sie hatte sich nicht getäuscht! Es war noch jemand im Haus!
    Angstvoll beobachtete sie Calgari. Hatte er es auch gehört?
    Er las noch. Anscheinend hatte er nichts bemerkt. Adele hielt den Atem an. Ich will nicht sterben, ich will nicht … Wenn Contini jetzt tatsächlich rechtzeitig …
    Alle ihre Hoffnungen klammerten sich an dieses leise Knarzen.
    Contini gelangte ans obere Ende der Treppe. Er horchte und hörte nichts. Er schlich weiter durch den Korridor. Bis auf den schmalen Streifen Licht, der durch den Türspalt fiel, war alles dunkel. Bis zu diesem Augenblick hatte er keine Stimme, kein Geräusch vernommen. Entweder es war alles vorbei, oder Adele war es gelungen, Calgari zu besänftigen … Unwahrscheinlich, sagte er sich.
    Langsam trat er näher. Nach jedem Schritt hielt er inne und lauschte. Nichts war zu hören. Wieder ein Schritt und eine Pause. Er kam der Tür immer näher. Der Korridor war leer, das ganze Haus schien verlassen. Aber das kann nicht sein.
    Vor der Tür bückte er sich und spähte durchs Schlüsselloch. Er sah nichts als einen Schreibtisch. Er zog seine Pistole - eine Walther-PP-Halbautomatik, die er in Notfällen benutzte - und streckte die Hand zum Türgriff aus. In diesem Moment hörte er einen erstickten Schrei, begriff aber nicht, woher er kam. Er war im Begriff, sich umzudrehen, als eine Hand seinen Arm packte und etwas Hartes an seine Schläfe drückte.
    »Ciao, Contini.« Das war Calgaris Stimme. »Lass die Pistole fallen. Eine Bewegung, und du hast eine Kugel im Kopf.«
    Contini ließ die Pistole fallen.
    Nachdem Calgari sich entfernt hatte, bin ich ins Haus gegangen. Ich suchte alle Zimmer ab, aber sie waren leer, ich fand weder deinen Vater noch Martignoni. Allerdings stand die Kellertür offen, und weil ich wusste, dass dein Vater Wertsachen dort unten aufbewahrt hatte, dachte ich in meiner Dummheit: Vielleicht hat ihn Calgari ausgeraubt. Aber als ich in das Versteck schaute - in der Mauernische, vor der er sein Weinregal gehabt hatte -, fand ich eine Kassette mit Geld und eine Mappe mit Papieren. So weit ich sah, waren das Erinnerungen deines Vaters aus seiner Zeit als Polizist, aber auch einige Unterlagen von Martignoni, so die oben erwähnte Aussage über Calgari, die ich dir jetzt übergebe.
Das Geld, das dein Vater zurückgelassen hatte, habe ich ausschließlich für dich verwendet, Elia, das musst du mir glauben. Und vor allem musst du mir glauben, dass ich damals wirklich nichts begriffen habe. Oder nicht begreifen wollte. Ich habe mir eingeredet, dass dein Vater und

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