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Am Grund des Sees

Titel: Am Grund des Sees Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Fazioli
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seine Pistole hatte. Er hatte sie vor Betreten der Città del Carnevale auf dem Schulparkplatz deponiert: eine sichere Waffe, eine Taurus PT- 92; er hatte sie einem Kunden des Autohauses abgekauft, der kurz darauf unbekannt verzogen war - irgendwohin nach Südamerika.
    Jetzt begann indes der schwierige Teil, jetzt musste Tommi seinen Widerwillen überwinden und sich seiner Aufgabe würdig zeigen. Einerseits empfand er eine gewisse Euphorie bei dem Gedanken, dass er mit einer einzigen Handbewegung über Leben und Tod entschied. Andererseits schrie ihm fortwährend eine Stimme ins Ohr: Tu’s nicht, tu’s nicht, tu’s nicht!
    Dennoch zweifelte er nicht, nein. Dafür war es zu spät; er hatte ohnehin schon Pellanda auf dem Gewissen - auf dem Weg, den er eingeschlagen hatte, gab es kein Zurück. Aber was für eine missliche Situation: Jahrelang hatte er sich genau danach gesehnt, und jetzt, im entscheidenden Augenblick, fühlten seine Arme sich an wie Blei.
    »Los, Tommi, nur noch einen Schritt, und du bist da!«
    »Ja, ich komm schon, komm schon … Wasser, ein bisschen, gibst du mir ein bisschen Wasser?«
    Tommis Kehle war wirklich ausgedörrt. Das Adrenalin wirkte wie ein Peitschenhieb, der ihn vorwärts trieb. Er legte die Hand um die Pistole. Er versuchte, gleichmäßig zu atmen, sich zu konzentrieren. Sein Magen war in Aufruhr.
    »Moment, ich füll die Flasche auf«, sagte Vassalli. Er wandte sich ab und bückte sich zum Bach hinunter.
    »Ja«, sagte Tommi und entsicherte die Taurus. »Danke.«
     
    Contini rannte unter dem Transparent in der Via Camminata hindurch und die Via Lugano entlang. Die Sicherheitsleute warfen ihm einen argwöhnischen Blick nach, hielten ihn aber nicht auf. In dieser Nacht, zu dieser späten Stunde, war die Stadt sowieso voller Verrückter, einer mehr oder weniger spielte keine Rolle.
    Auf dem Parkplatz der Grundschule hielt Contini keuchend an. Er riss sich den Mantel auf und schnappte nach Luft. Kein Mensch war zu sehen. Er ging die Reihe der geparkten Autos entlang; auf dem Rücksitz eines Mercedes erkannte er einen voluminösen Gegenstand, der seiner Form nach eine Tuba in ihrer Schutzhülle sein konnte.
    Was tun? Wieso war Vassalli wieder verschwunden, nachdem er sein Instrument hier abgelegt hatte? Sollte er hier auf ihn warten oder weitersuchen? Aber wo? Contini trat auf das Trottoir der Via Lugano hinaus. In beiden Richtungen war die Straße menschenleer.
    In dem Moment, als er kehrtmachte, um auf den Parkplatz zurückzukehren, krachte ein Schuss.
    Das erkannte er sofort: So klingt kein Knallkörper, das war ein Pistolenschuss. Er schien ihm von der stadtauswärts gelegenen Seite des Parkplatzes zu kommen.
    Er rannte zur Straße zurück. Bei einer Straßenlaterne neben dem Zebrastreifen an der Kreuzung Via Lugano und Via Ospedale blieb er stehen und horchte. Nirgends ein Laut. In den Straßen lag ein unklares Dämmerlicht, fast wie ein Widerschein der nächtlichen Dunkelheit.
    An dieser Stelle floss ein Bach unter der Straße hindurch. Der Detektiv beugte sich über das Geländer und blickte zum Wasser hinunter. Im Licht der Straßenlaterne hinter ihm warf er einen grotesken Schatten, und deshalb traute Contini zuerst seinen Augen nicht, als er unter sich, am Bachufer, ein Stück Blumenwiese erblickte.
     
    Tommi zog seine Pistole und spürte, wie ihm schlecht wurde, aber er sagte sich: Entweder ich tu’s jetzt, oder ich erstarre auf der Stelle zur Salzsäule. Er zielte auf Vassallis Bauch und wartete, bis der sich umdrehte. Dann drückte er ab.
    Mit einem japsenden Laut fiel Vassalli auf die Knie. Er hob den Kopf und sah Tommi an. Er begriff nicht. Er war nicht tot, Tommi hatte ihn nicht umgebracht: Lange Minuten des Todeskampfes warteten auf ihn... Theoretisch. Denn Tommi hatte einen Plan und führte ihn aus wie ein Roboter, der sein Programm abspielt: Er trat auf Vassalli zu, bückte sich und packte ihn und zerrte ihn bis zum Bach. Dort drückte er ihm den Kopf unter Wasser und hielt ihn fest. Vassalli versuchte noch sich zu wehren, doch seine Kräfte verließen ihn rasch. Ein letztes Zucken ging durch seinen Körper, dann lag er still.
    Tommi hielt ihn sicherheitshalber noch mehrere Sekunden fest. Dann meinte er näher kommende Schritte zu hören. Hastig packte er sein Saxophon und duckte sich in die Tunnelröhre, in die der Bach verschwand. Ein paar Meter schlich er den Wasserlauf entlang, dann wartete er, reglos und mit angehaltenem Atem.
    Es war Elia. Tommi wusste, dass

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