Am Grund des Sees
er kommen würde. Sie verstanden einander wortlos, wie früher. Tommi hatte ihn angerufen, und Elia hatte begriffen. Man musste nicht viele Worte verschwenden.
Im ersten Moment hatte er das Bedürfnis, sich bemerkbar zu machen, doch er verwarf den Gedanken rasch wieder. Es schien ihm nicht richtig: Der Plan sah vor, dass er so tat, als wäre nichts geschehen; dass das Geheimnis gewahrt blieb. Durch die Tunnelöffnung sah er Elia zum Bach hinuntersteigen und sich über Vassallis Leiche beugen. Sah, wie Elia den Toten umdrehte und nach Atmung und Puls fühlte. Er sah ihn sich wieder aufrichten und sein Mobiltelefon aus der Tasche ziehen, während er sich suchend umsah, fast wie um Tommi zu verstehen zu geben, dass er ihn in der Nähe wusste.
Aus seinem Versteck heraus hörte er Elia ins Telefon sprechen.
»Hier ist Elia Contini«, sagte er. »Ich bin in Bellinzona in der Via Lugano und habe soeben die Leiche von Alessandro Vassalli entdeckt.«
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Dokumentation anliegend
Lieber Contini,
man kann nie vorsichtig genug sein, und Sie werden verstehen, dass gerade ich ein vitales Interesse daran habe, mich bedeckt zu halten. Wie ein weiser Mann sagte: Edel ist nur, was Bestand hat. Und ich hätte gern noch eine Weile Bestand. Deshalb ersuche ich Sie wie stets, dieses Schreiben nach Erhalt zu vernichten. Wenn Sie mich besuchen, werde ich Ihnen einige Dokumente vorlegen, die ich Ihnen auf diesem Weg natürlich nicht zukommen lassen kann. Mir scheint, Sie haben da in ein Wespennest gestochen.
Jedenfalls kann ich Ihnen sagen, dass die Treuhand Finzi mehrere Briefkastenfirmen gegründet hat, wie es so schön heißt, um ihr schmutziges Geld zu waschen. Die Unternehmen für nachhaltige Entwicklung, die Finzi als Rechnungsprüfer engagiert hatten, leben von privaten Spendengeldern, die ihnen überwiesen werden. Aber einige dieser Spender wissen selbst gar nichts von ihrer angeblichen Wohltätigkeit... Der Trick ist so genial wie einfach: Ich habe eine Million in bar und mache daraus Hunderte winzige Einzahlungen zugunsten meiner Firma, getätigt von vermeintlichen Spendern, deren Namen ich mir aufs Geratewohl aussuche.
Die Bareinzahlung erfolgt über diverse Personen meines Vertrauens bei verschiedenen Geldinstituten: Dafür braucht es keinen Identitätsnachweis, und bei so kleinen Beträgen finden keine Kontrollen statt. Und am Ende ist mein schmutziges Bargeld virtuell geworden, und ich habe es auf elegante Weise in den Bankkreislauf eingespeist.
Die besagten Unternehmen für nachhaltige Entwicklung verteilten dann Subventionen an Landwirte und Umweltgruppen. Diese behielten einen Anteil für sich, und mit dem Rest finanzierten sie Pseudoprotestaktionen. Auf diese Weise kehrte das Geld zu einem Vertrauensmann von Finzi zurück, und der gab es mittels aufgeblähter Käufe von Luxusgütern oder Investition in ausländische Hedgefonds den Eigentümern zurück.
Tatsächlich, habe ich herausgefunden, investierten etliche Strohmänner in Finzis Auftrag in den Ausbau des Stausees von Malvaglia. Die Treuhandgesellschaft bedient diskret also beide Seiten, die Befürworter ebenso wie die Gegner - natürlich hat Finzi keine ideologischen Motive, ihm geht es ausschließlich darum, Geld in Umlauf zu bringen.
Nun scheue ich jeglichen Moralismus wie das gebrannte Kind das Feuer, aber dass Finzi Nachforschungen zum Thema »Stausee von Malvaglia« tunlichst vermeiden will, kann ich nachvollziehen: Gut möglich, dass er juristisch gesehen sauber aus der Sache rauskommt, aber irgendwas bleibt doch immer hängen - zumindest wird sein guter Ruf bekleckert, und der ist in seiner Branche immens wichtig. Auch die beiden Toten sind nicht über jeden Verdacht erhaben: Als Befürworter des Staudamms haben Pellanda und Vassalli einiges an Geld eingeschoben, ohne allzu viele Fragen zu stellen.
Ob hier jemand Rache übt? Möglich. Allerdings frage ich mich, wer - außer Ihnen mit Hilfe meiner Wenigkeit - heute in der Lage wäre, diese uralten, komplexen finanziellen Transaktionen zu rekonstruieren...
Mit vorzüglicher Hochachtung,
J. Maltese
Signor Commissario De Marchi - persönlich! Lieber De Marchi,
wie versprochen, schicke ich Ihnen vorab einige Auszüge aus dem offiziellen Obduktionsbericht im Fall Vassalli. Aus der Untersuchung des Einschusslochs mit Spuren von Hautabschürfungen geht eindeutig hervor, dass die Kugel aus einer Entfernung von weniger als 100 cm abgefeuert wurde; dies zeigt sich u. a. an den Schmauchspuren
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