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Am Grund des Sees

Titel: Am Grund des Sees Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Fazioli
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sinken.
    »Aber Sandro! Kennst du mich nicht mehr?«
     
    Als die Schweizer Hymne zu Ende war, ertönte ein langer Applaus.
    Seit einer halben Stunde versuchten sie Schluss zu machen, aber das Publikum ließ sie nicht. Der Trompeter sah sich stolz um, nahm einen Schluck Wein und sagte: »Mann, ist das kalt!«
    »Ach was!«, sagte ein anderer, »siehst du nicht schon das herantretende Morgenrot?«
    Er erntete vielstimmiges Gelächter.
    Contini wartete das Gelächter ab und stellte dann seine Routinefrage.
    »Gehört ihr auch zur Spacatesta-Band?«
    »Da guckstu«, sagte einer und deutete auf die Aufschrift SPACATESTA BAND auf dem gespannten Fell der Trommel. »Was sagst?«
    Contini bemühte sich um Geduld, aber das Gefühl, dringend handeln zu müssen und womöglich zu spät zu kommen, schnürte ihm die Kehle zu. Seit diesem obskuren Telefonanruf, den gemurmelten Worten »Sandro Vassalli«, zerrann ihm die Zeit zwischen den Fingern.
    »Habt ihr vielleicht Alessandro Vassalli gesehen?«, fragte er geduldig. »Wo könnte er sein?«
    »Der Sandro? Sternhagelvoll isser.«
    Wieder Gelächter.
    »Vielleicht hat er eine gefunden, die ihn ins Bett bringt.«
    Wieder lachte alles, und Contini machte einen letzten Versuch: »Leute, es ist Ernst! Wisst ihr, ob er nach Hause gefahren ist? Oder fahren wollte?«
    »Ich glaub schon. Hat er nicht gesagt, dass er heimwill? Sein Auto steht im Schulhof der Grundschule Süd.«
    »Falls man es ihm nicht geklaut hat.«
    »Die Grundschule Süd?«, fragte Contini. »Und wie komm ich da hin?«
    »Leicht«, sagte der Trompeter. »Du gehst hier gradaus und die Nächste rechts, bis du das Rathaus siehst, dann gehst du runter, direkt an der Polizei vorbei und biegst nach rechts ab, nein, nach links, bis du auf der Piazza stehst, und dann gehst du wieder rauf.«
    »Ah, danke.« Contini lächelte. »Geht das vielleicht noch mal ein bisschen langsamer?«
    »Na klar! Also, du gehst hier raus und kommst auf die Piazza Nosetto, ja? Wo der Nussbaum steht. Dann gehst du weiter …«
     
    »Tommi? Bist du das?«
    »In Person!«
    »Und wieso stehst du da unten rum und machst Musik?« Vassallis Stimme hallte durch die Unterführung. »Spinnst du?«
    »Mir war kalt, ich wollte mich ein bisschen aufwärmen.«
    Tommi spielte den Betrunkenen; wankend trat er auf Vassalli zu und lehnte sich an ihn.
    »Du musst mir helfen, Sandro, ich hab zuviel getrunken, mir geht’s nicht so gut …«
    Vassalli grinste.
    »Spielen kannst du aber noch! - Na los, komm, ich helf dir!«
    Mühsam stapften die beiden zum Ausgang der Unterführung. Tommi, jammernd und bei jedem Schritt stolpernd, hing schwer an Vassallis Arm.
    »Ich brauch einen Schluck Wasser, Sandro, bitte, es zerreißt mir den Schädel …«
    »Nur die Ruhe, alles wird gut!«
    »Ich muss was trinken, verstehst du, ich muss mir Wasser ins Gesicht spritzen...«
    »Na komm, geh weiter, das wird schon.«
    »Du hast nicht vielleicht eine Flasche, oder?«
    Vassalli hatte keine Flasche. Aber wenige Meter hinter dem Parkplatz der Schule lief ein kleiner Bach, und Tommi flehte Vassalli an, zum Bachufer hinunterzusteigen und ihm Wasser zu holen, es gehe ihm schlecht, wiederholte er, er brauche nur ein bisschen frisches Wasser.
    »Okay, okay«, sagte Vassalli schließlich, »wir tun die Instrumente ins Auto und gehen …«
    »Nein, nein, von meinem Saxophon trenne ich mich nicht, ins Auto kommt es mir nicht!«
    Vassalli vermied eine Diskussion. Zwar brummte er ärgerlich vor sich hin - Wie kann man sich nur so volllaufen lassen, murrte er, völlig daneben ist der Kerl! -, marschierte aber zu seinem Auto, um die Tuba auf dem Rücksitz zu verstauen und irgendein Gefäß zu suchen. Mit einer leeren Plastikflasche kam er zu Tommi zurück.
    Um ans Wasser zu gelangen, musste man über ein Mäuerchen steigen und springen. Mit einem Betrunkenen am Arm war das kein leichtes Unterfangen, zumal Tommi sein Saxophon mitschleppte, aber am Ende kamen beide wohlbehalten unten an. An dieser Stelle verschwand der Bach nach einem kleinen Wasserfall, vor dem sich das Wasser zu einem Tümpel staute, unter der Straße. Vassalli starrte in die finstere Röhre, durch die das Wasser rauschte.
    »Weiter gehen wir nicht, sonst rutschen wir bloß aus«, sagte er zu Tommi. »Da, komm hierher, wo das Wasser läuft, los!«
    »Ja, ja!«, antwortete Tommi, »gib mir deine Hand, dann komm ich …«
    Während er eine Hand Vassalli entgegenstreckte, befühlte er mit der anderen seine Jackentasche, in der er

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