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Am Grund des Sees

Titel: Am Grund des Sees Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Fazioli
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Rodoni. »Lassen wir sie also sprechen.«
    »Also«, fuhr Lamberti fort und projizierte einen neuen Bildschirminhalt an die Wand. »Was hatten die Opfer gemeinsam?«
    »Sie waren Schwager«, warf der Kripochef aus seiner finsteren Ecke ein.
    »Richtig«, sagte Lamberti. »Und sie waren Befürworter der Erweiterung des Stausees von Malvaglia, vor zwanzig Jahren schon und heute wieder.« Der Psychiater räusperte sich geräuschvoll. »Ich glaube, dass das Rituelle an den beiden Morden der Typologie eines Mörders mit sehr speziellen Motiven entspricht.«
    »Nämlich?«, fragte Rodoni.
    »Vor allen Dingen«, antwortete Lamberti, »lässt das besondere Augenmerk, das auf die Todesursache, nämlich Ertrinken, gelegt wird, vermuten, dass der Mörder diese Todesart nach seinem Verständnis von Gerechtigkeit für die geeignetste hielt. Er wollte jedoch kein Risiko eingehen und sorgte dafür, seine Opfer zuvor wirkungsvoll außer Gefecht zu setzen. Was lernen wir daraus?«
    »Er ist eher der vorsichtige Typ«, antwortete wiederum Tettamanti.
    »In erster Linie deutet es auf eine komplexe Persönlichkeit hin«, präzisierte Lamberti. »Einerseits haben wir ein Individuum, das nicht nur eine sehr feste Vorstellung von Gerechtigkeit hat, sondern diese auch mit einem erheblichen Maß an ritueller Kodifizierung in die Tat umsetzt. Andererseits erkennen wir eine umsichtige und berechnende Einstellung: Um sein Ziel zu erreichen, wartet der Mörder geduldig auf den geeigneten Zeitpunkt und demonstriert somit, dass er in der Lage ist, seinen Modus operandi zu variieren.«
    Während er sprach, projizierte Doktor Lamberti eine Tabelle mit seinen wichtigsten Erkenntnissen an die Wand:
     
     
    Bemerkungen: Falls das Individuum mit den Opfern nicht verwandt ist, hat es sich jedenfalls schon mit dem Staudamm von Malvaglia auseinandergesetzt (dagegen protestiert, ihn bekämpft) und betrachtet den Stausee - oder seine Erweiterung - als persönliche Kränkung.
    »Das sind natürlich alles nur Vermutungen«, sagte Lamberti, »aber einige Angaben wie ›Alter‹ und ›Beziehungen‹ werden von zahlreichen Übereinstimmungen mit ähnlichen Fällen bestätigt.«
    »Mit anderen Worten«, sagte Rodoni, »der Täter könnte aus Rache gehandelt haben.«
    »Nun, offen gestanden, er selbst hält das eher für Gerechtigkeit, aber …«
    »Sie glauben, man hat ihm ein Unrecht zugefügt, oder?«, fragte wiederum Rodoni.
    »Ja, er glaubt, dass …«
    »Also sagen wir, er will sich rächen. Wofür?«
    »Objektiv betrachtet, kann die Ursache geringfügig sein«, erklärte Lamberti. »Dass er sie schwernimmt, bedeutet nicht zwangsläufig, dass sie schwerwiegend ist.«
    »Vielleicht eine erlittene Kränkung«, spekulierte Tettamanti.
    »Kann sein«, sagte Rodoni. »Ich wäre da allerdings sehr vorsichtig. Wenn dieses Profil den Journalisten in die Hände fällt, schaut es nicht gut aus.«
    »Auch deshalb, weil es im Grunde lauter Luftschlösser sind«, warf Tettamanti ein.
    »Und Sie, Commissario, was denken Sie?«, fragte Rodoni, um Lambertis Protest zuvorzukommen.
    De Marchi zog die Rollläden hoch und antwortete langsam, als spräche er einen noch unfertigen Gedanken aus.
    »Schwer zu sagen … Ich weiß nicht, ob man so einem Profil allzu sehr trauen darf …«
    »Herr Kommissär«, begann Doktor Lamberti. »Es handelt sich hierbei um ein streng wissenschaftliches Vorgehen, das …«
    »Schon gut, schon gut«, unterbrach De Marchi. »Ich meine nur, dass ein Mörder dieses Schlags mir eher Angst macht. Auch deshalb, weil …«
    Er verstummte.
    »Weshalb?«, fragte Rodoni nach.
    »Nichts«, sagte De Marchi. »Nichts.«
     
    Es war eine Vollmondnacht. Contini nahm seine Kamera und machte sich auf in den Wald. Die Paarungszeit näherte sich dem Ende, und er hatte noch kein einziges anständiges Foto zustande gebracht.
    Füchse verteidigen das Territorium rund um ihren Bau vehement und unermüdlich. Ihr Jagdrevier sehen sie allerdings weniger streng und unternehmen schon einmal Streifzüge in fremdes Gebiet. Da Contini in den letzten Wochen den Kontakt zu den Füchsen verloren hatte, pirschte er sich gegen den Wind in einem großen Bogen so nahe an den Bau des Rüden heran, wie es ging.
    Im Wald herrschte diese typische Mattigkeit, die den ersten Anzeichen des Frühlings vorausgeht. Contini, um Lautlosigkeit bemüht, schaltete von Zeit zu Zeit seine Taschenlampe ein, um niedrigem Gezweig auszuweichen.
    Nahe der Stelle, an der die Belüftungsröhre des

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