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Am Grund des Sees

Titel: Am Grund des Sees Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Fazioli
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unweit der Kreuzung mit der Via Dassone …«
    Die Wegbeschreibung nahm eine gewisse Zeit in Anspruch.
    Am Ende gelang es Contini, noch einmal seine ursprüngliche Frage anzubringen: »Und wie geht es Desolina?«
    Adele Fontana senkte die Stimme: »Sie ist sehr erschöpft, die Arme. Aber Charakter hat sie, das muss man sagen, und denken Sie sich, sie wollte keine Minute ausruhen, sondern setzt sich gleich hin und fängt an zu schreiben.«
    »Sie schreibt?«
    »Ja, sie trägt ständig ein Bündel Papiere mit sich herum, und sie sagt, sie schreibt ihre Memoiren. Und sie schreibt unentwegt! Was für eine Energie! Was gäb ich drum, so altern zu können wie sie!«
     
    In De Marchis Büro musste Contini an den Kampf der Füchse denken. Er ließ die verschiedenen Phasen der Auseinandersetzung, die Abfolge von Angriff und Abwehr, Revue passieren.
    Aber es fehlte ein Gesamtbild.
    Es fehlt immer das Gesamtbild, dachte er, während er die Risse in den Wänden und die alten metallenen Karteikästen betrachtete. Immer, aus den verschiedensten Gründen.
    »Ich bräuchte ein bisschen Zeit«, sagte er laut. »Es ist viel passiert.«
    »Zeit?«, fragte De Marchi. »Zwei Menschen sind tot - das ist Ihnen schon klar, oder?«
    Schweigen. Dann fragte Contini: »Haben Sie denn eine Vermutung?«
    »Wollen Sie mich auf den Arm nehmen?«, fragte der Kommissär zurück.
    »Das würde ich nie tun.«
    »Sie tun es jetzt.«
    »Aber aus Versehen.«
    »Aus Versehen?«
    »Sie legen mir die Worte in den Mund, Herr Kommissär.«
    De Marchi griff nach seinem Feuerzeug und ließ es aufschnappen. Er zündete die Flamme an, ließ sie ausgehen, zündete sie wieder an, ließ sie wieder ausgehen. Der Kommissär rauchte gelegentlich eine Zigarre, trank sehr maßvoll, fluchte niemals: Zur Beruhigung der Nerven pflegte er nur Feuerzeuge zu malträtieren.
    »Hören Sie, Contini, ich will hier nicht die übliche Komödie aufführen.«
    »Gut.«
    Die Bewegung des Daumens auf dem Feuerzeug wurde hektischer.
    »Soll ich’s Ihnen klipp und klar sagen? Soll ich Ihnen das Profil vorlesen, das die Experten erstellt haben?«
    De Marchi stöberte in seinen Unterlagen auf dem Schreibtisch, bis er ein gelbes Kuvert gefunden hatte. Er zog ein Blatt heraus und las die Anmerkungen von Doktor Lamberti vor. Besonderen Nachdruck legte er auf den letzten Satz: »… und es ist möglich - hören Sie gut zu -, es ist möglich, dass er in seiner Kindheit im Zusammenhang mit dem Stausee ein Trauma erlitten hat. Was sagen Sie dazu?«
    »Nichts.«
    »Geben Sie zu, dass dieses Porträt auf Sie passt?«
    »Finden Sie?«
    »Schauen Sie, wir wissen, dass Sie sich schon seit einer ganzen Weile für den Stausee interessieren, Sie waren bei Pellanda, bei Vassalli, bei Finzi, und Sie haben nicht den Hauch eines Alibis.«
    In dem Moment ging die Bürotür auf, und herein kam, im dunklen Mantel mit aufgestelltem Kragen, aus dem ein rundes, vor Kälte gerötetes Gesicht ragte, Attilio Rodoni, der Staatsanwalt.
    »Das kann ich mir natürlich nicht entgehen lassen«, erklärte er und setzte sich vor De Marchis Schreibtisch, »auch wenn es kein formelles Verhör ist.«
    »Ach!«, sagte Contini. »Mir war nicht bewusst …«
    »Genug!«, unterbrach De Marchi. »Sie wissen schon, dass wir Sie festnehmen könnten? Sagen Sie’s ihm, Herr Staatsanwalt.«
    »In der Tat«, antwortete Rodoni nach einem raschen Hüsteln, »ist Ihre Lage, Signor Contini, prekär. Sie sind sich darüber im Klaren, nicht wahr, dass Sie leider nicht das geringste Alibi …«
    »Weil ich Single bin und ein zurückgezogenes Leben führe, ja?«
    Das Feuerzeug schnappte auf.
    »Was haben Sie zu der Schlägerei mit Vassalli zu sagen?«
    »Nichts.«
    »Ist es wahr, dass Sie den Bürgermeister Pellanda gefragt haben, wann er seinen Morgenspaziergang macht?«
    »Weiß ich nicht mehr.«
    »Ach nein?«, fuhr De Marchi fort. »Und wie erklären Sie mir, dass Sie zwei Minuten nach dem Mord an Vassalli auf der Bildfläche erscheinen?«
    »Ich habe einen Anruf erhalten und mich dann auf die Suche nach Vassalli gemacht.«
    »Ja, dieser Anruf, lächerlich!«
    »Vom Mörder.«
    »Aber vor dem Tod des Bürgermeisters hat er Sie nicht angerufen, oder?«
    »Nein.«
    »Aha. Diesmal aber informiert er Sie freundlicherweise vorher. Und deshalb haben Sie Vassalli gesucht, richtig?«
    »Ja.«
    »Und was wollten Sie von ihm, als Sie ihn gefunden haben?«
    »Nichts, denn da war er schon tot.«
    »Weil Sie auf ihn geschossen und ihn dann ertränkt

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