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Am Grund des Sees

Titel: Am Grund des Sees Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Fazioli
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seiner Schuld überzeugt, vielleicht suchte auch er nach ihm. Was aber, wenn er eine wichtige Nachricht für ihn hatte?
    Er beschloss, das Risiko einzugehen. Malfanti meldete sich sofort: »Hallo?«
    »Hier ist Contini.«
    »Ah, ich versuche schon die ganze Zeit, Sie zu erreichen, wo stecken Sie?«
    »Ich bin auf der Flucht vor der Polizei?«
    » Was? «
    »Sie wollten mich festnehmen, und ich bin abgehauen.«
    »Aber wieso denn, warum denn?«
    »Hätte ich mich verhaften lassen sollen?«
    Das war der entscheidende Moment. Malfanti schwieg eine Weile, seufzte dann und sagte: »Wahrscheinlich bleibt Ihnen nichts anderes übrig. Solang Sie nichts in der Hand haben, glaubt Ihnen sowieso keiner.«
    Contini, insgeheim erleichtert, fragte: »Haben Sie was für mich?«
    »Leider nein. Ich wollte nur wissen, ob Sie über dieses Rätsel nachgedacht haben - auf wen schießt Herr A? Glauben Sie nicht, dass das eine Botschaft ist?«
    Contini seufzte tief.
    »Doch. Hören Sie, Malfanti, ich muss Sie um einen Gefallen bitten. Falls Sie mir vertrauen.«
    »Worum geht’s?«
    »Haben Sie ein Auge auf Ihren Chef.«
    »Hä?«
    »Hört Ihnen jemand zu?«
    Contini entschloss sich, seine Karten auf den Tisch zu legen. Er erzählte alles, erzählte auch von dem an Francesca adressierten Brief, verschwieg jedoch vorsichtshalber, was darin stand, also auch die in Villa Luganese versteckten Dokumente. Malfanti war sprachlos. Aber Contini hatte keine Zeit zu verlieren.
    »Denken Sie drüber nach«, drängte er ihn, »und wenn es irgendwie geht, behalten Sie Calgari im Blick.«
     
    Chico saß an seinem Schreibtisch, den Telefonhörer in der Hand, und rührte sich nicht. Er war fassungslos, musste aber zugeben, dass Continis Darstellung eine gewisse Logik hatte. Wenn Calgari tatsächlich etwas zu verbergen hatte und Nachforschungen über den Staudamm vermeiden wollte, dann … Aber warum hatte er zugelassen, dass Tommi so viele Menschen umbrachte, warum hatte er seinen Wahnsinn auch noch geschürt?
    Ein Teil von ihm konnte nicht glauben, dass Calgari zu so etwas fähig war. Eine andere Stimme aber sagte ihm, dass seinem Chef das Wasser bis zum Hals stand: Wenn Tommis Morde bewirkten, dass der Fall wieder aufgerollt wurde, wenn Desolina Fontana tatsächlich aussagte, dann wäre er erledigt. Also wehrte er sich.
    Hat er sich gewehrt? Du lieber Gott, was reime ich mir da zusammen? Calgari hat zwei Menschen kaltblütig ermordet, und dass die Polizei Contini im Verdacht hatte, kam ihm gerade recht. Wenn das alles tatsächlich wahr wäre … ist es wahr?
    Chicos Hand, die immer noch den Telefonhörer umklammerte, war schweißfeucht, und doch konnte er nicht auflegen. Es überlief ihn kalt.
    In diesem Moment vernahm er ein leises Klicken. Das Telefon, schoss es ihm durch den Kopf, Scheiße, das Telefon! Jemand hatte das Gespräch von einem anderen Apparat mitgehört.
    In der Kanzlei befanden sich um diese Zeit nur noch er und sein Chef.
     
    Trotz Sturm und Dunkelheit und Schnee und des lächerlichen Lichtstrahls der Taschenlampe verlief Elvis Tarlisetti sich nicht. Er liebte die Berge: Er wusste, wie man sich im Gebirge verhält, er fand sich immer zurecht.
    Natürlich war die Gewissheit, dass hier irgendwo ein Mörder unterwegs war, nicht die ideale Voraussetzung, um den Ausflug zu genießen. Aber es half ja nichts. Was konnte man anderes tun als langsam und stetig zu steigen, mit allen Sinnen wachsam zu sein und offene Flächen zu meiden?
    Der Wind heulte wie ein verwundetes Tier, und der waagrecht heranstürmende Schnee nahm einem Sicht und Atem. Im Gänsemarsch, mit eingezogenem Kopf, kämpften die Beamten sich vorwärts.
    Vielleicht hatte sich Contini verirrt, dachte Elvis, und fror jetzt irgendwo fest. Vielleicht hatte er es sich anders überlegt und hockte in einem Kellerversteck in Corvesco. Vielleicht war der Einsiedler ein Gerücht, und es lebte kein Mensch dort oben am Berg.
    Aber dann drang in all dem Lärm eine Stimme an sein Ohr, und er blieb wie angewurzelt stehen.
    Sie schien von weither zu kommen, war kaum mehr als eine vom Wind verwehte Silbe. Aber mit Sicherheit war sie keine Einbildung. Er bedeutete seiner Eskorte, sich zu ducken, und schlich ein paar Schritte weiter. Und prallte gleich darauf zurück, denn aus dem Schneegestöber vor ihm tauchten zwei schemenhafte Gestalten auf.
    »Halt!«, schrie er. »Polizei! Keine Bewegung!«
     
    Chico legte vorsichtig den Telefonhörer ab, als wäre er ein Sprengkörper. Zum ersten Mal

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