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Am Grund des Sees

Titel: Am Grund des Sees Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Fazioli
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hatte er das Gefühl, dass sich sämtliche Puzzleteile zu einem vollständigen Bild fügten. Tommis Wahnsinn, Calgaris gefährliches Geheimnis. Eine Kombination, die nicht auf Anhieb plausibel war: der Heißsporn und der mit allen Wassern gewaschene Anwalt.
    Und jetzt?
    Wenn Contini Recht hatte, dann saß Chico jetzt in der Klemme.
    Aber das Nichtwissen war ebenso unerträglich. Er musste herausfinden, ob Calgari das Gespräch wirklich mitgehört hatte. Wie in Zeitlupe stand er auf - vielleicht teilte sich die Besonnenheit seiner Gesten ja seinem Geisteszustand mit. In was für ein verdammtes Schlamassel war er da hineingeraten! So hatte er sich das Abenteuer nicht vorgestellt - warum musste es so absurd, der Weg mit so vielen Leichen gepflastert sein, bevor es ausgestanden war!
    Bis auf den Lichtschein seiner Schreibtischlampe lag die Kanzlei im Halbdunkel. Draußen vor den Fenstern wirbelte der Schnee im Licht der Straßenlaternen. Vor Calgaris Büro blieb Chico stehen. Sollte er anklopfen? Lieber nicht. Warum ihn vorwarnen? Wenn er sich alles nur eingebildet hatte und Contini log, würde er sich eben für seine mangelnde Höflichkeit entschuldigen.
    Er riss die Tür auf, jäh und lautlos.
    Calgaris Büro war dunkel. Chico schaltete die Deckenlampe ein. Niemand da. Der Schreibtisch völlig leer. Ich habe mich geirrt, dachte er, da war kein Klicken in der Leitung. Vielleicht war auch Continis Geschichte ein Hirngespinst.
    Aber komisch, dass Calgari gegangen war, ohne was zu sagen. Als Chico sich abwandte und schon die Tür hinter sich schließen wollte, beschlich ihn ein Zweifel. Er machte kehrt und legte die Hand an den Schirm der Schreibtischlampe. Und zuckte sofort zurück: Er war glühend heiß. Rasch sah er sich im Raum um. Nein, es war wirklich niemand da. Offensichtlich hatte Calgari, nachdem er Chico belauscht hatte, sofort die Kanzlei verlassen.
    Es war also doch noch nicht ausgestanden.
     
    Signor Finzi ging den Viale Manzoni entlang. Chiasso war nicht wiederzuerkennen: Unter der Schneedecke hatte es beinahe seinen städtischen Status verloren und war wieder zum Dorf geworden. Begeisterte Kinder rannten kreuz und quer durch die Straßen, auf denen kaum noch Autos verkehrten, Familien fuhren dick eingepackte Kleinkinder spazieren, hier und dort war einer mit Langlaufskiern unterwegs.
    Das kurze abschüssige Stück vom Bahnhof zur Piazza Independenza beherrschte eine Gruppe schlittenfahrender Kinder. Am Ende der Straße näherten sich die Scheinwerfer eines Räumfahrzeugs, und Finzi hatte den Kopf voller finsterer Gedanken. Viel Zeit hatte er nicht. Wenn Calgari den Kopf verlor, würde er ihn mit in den Abgrund reißen. Eigentlich hatte er ihn ja schon verloren. Aber wenn es gelang, alle Schuld auf Contini zu schieben, konnte man noch einigermaßen unbeschadet aus der Sache herauskommen. Sicher, Calgari versuchte ihn zu bescheißen; aber Finzi war ein guter Spieler und wusste, wann es Zeit ist, einen Pakt anzubieten.
    Er erklomm den Rodelhang und erreichte den Bahnhof. Der Wartesaal war voller lärmender, empörter Menschen - wahrscheinlich war wieder ein Zug ausgefallen. Finzi suchte sich eine halbwegs ruhige Ecke. Obwohl sie geschäftlich nichts mehr miteinander zu tun hatten, besaß er Calgaris Mobilnummer: Er hatte immer alle Telefonnummern, die wichtig für ihn sein konnten.
    »Hallo, hier Amedeo Finzi.«
    Am anderen Ende war erst einmal Schweigen. Das fängt ja gut an, dachte Finzi.
    »Da schau her, was für eine Überraschung«, ließ sich Calgari schließlich vernehmen. »Lang nichts gehört! Wie geht’s immer?«
    »Ich habe erfahren, dass du versuchst, mich übers Ohr zu hauen.«
    »Wie bitte?«
    »Ich sagte, ich habe erfahren, dass du mit meinen Kunden Kontakt aufgenommen hast und dich für frühere Spendentätigkeiten von mir interessierst.«
    »Aber nein, du irrst …«
    »Gib dir keine Mühe. Ich weiß alles. Schon damals war mir sehr schnell klar, wer die zwei umgelegt hat, Contini und Martignoni. Jetzt bildest du dir ein, du seist auf elegante Weise auch noch Pellanda und Vassalli losgeworden, außerdem diesen Porta und die alte Fontana. Ich weiß nicht, weshalb du glaubst …«
    »Und ich weiß nicht, wie du auf diesen Scheiß kommst!«, fuhr ihn Calgari an.
    »Ist es dir unangenehm? Willst du nicht am Telefon drüber reden? Keine Sorge, mich interessiert das momentan gar nicht. Ich rufe an, weil ich dir ein Treffen vorschlagen will, bei dem wir ein bisschen über unsere Angelegenheit

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