Am Grund des Sees
dort eine Nachricht für mich liegt. Eine schriftliche Erklärung von Desolina, die mich entlasten könnte. Sagt Francesca.«
»Und woher weiß sie das?«
»Desolina hat ihr einen Brief an mich geschickt. Darin steht, dass sie im Haus von Adele Fontana Dokumente über den Staudamm von Malvaglia und ihre Aussage über meines Vaters und Martignonis Tod versteckt hat.«
»Und der Mörder …«
»Das ist er, der Rechtsanwalt Calgari. Mehr steht nicht in dem Brief. Und wir müssen jetzt diese Unterlagen finden.«
»Wieso rufst du nicht sofort die Polizei an?«
»Weil ich für die ein Mörder bin! Was glaubst du, wer mir zuhört? Nein, viel zu riskant, stell dir vor, wenn Calgari von den Dokumenten erfährt, bevor ich die Polizei überreden kann, mir zu glauben. Ist dir klar, dass …«
»Okay, okay.« Giona hob eine Hand. »Ich versteh schon, ich begleite dich nach Corvesco. Aber wie kommst du nach Villa?«
»Ich habe Renzo gebeten, zu Francesca zu fahren; dann holen sie mich ab.«
»Kannst du nicht Signora Fontana anrufen? Sie könnte die Papiere zur Polizei bringen.«
»Hab ich versucht. Sie scheint nicht zu Hause zu sein. Außerdem wird auch sie mich für schuldig halten.« Continis Miene verdüsterte sich. »Wer kann’s ihr verdenken. Calgari hat ganze Arbeit geleistet!«
Giona zog seinen alten Militärmantel an, der älter war als er selbst, wickelte sich einen Schal um den Hals, setzte eine Pelzmütze auf und rief: »Also hinunter ins Tal, Junge, und Gott sei uns gnädig!«
Draußen war es stockfinster. Der Sturm fegte den Schnee gegen die Hütte und pfiff zwischen den Baumwipfeln.
Amedeo Finzi war ein guter Pokerspieler, und er beherzigte stets die goldene Regel: Ein guter Amboss fürchtet den Hammer nicht. Seine Karten waren denkbar schlecht, daran war nicht zu rütteln, aber machen ließ sich nichts.
Allerdings besaß er auch ein paar Informationen über die Karten seines Gegners, und deshalb konnte er einen kleinen Bluff versuchen. Zum Glück war Sutter auf seiner Seite und hatte ihm Calgaris Brief gezeigt.
Aber wie konnte ich nur so dämlich sein? Wieso hab ich das nicht viel früher gemerkt?
Finzi war allein im Büro. Sie hatten vorzeitig Schluss gemacht, seine Mitarbeiter waren alle nach Hause gefahren, bevor sie womöglich im Schnee stecken blieben, und Finzi hatte Zeit zum Nachdenken. Er dachte an die Anfänge seines Unternehmens, die mehr als zwanzig Jahre zurücklagen. Wie leicht es damals gewesen, wie glatt alles gegangen war. Calgari, der Anwalt, brachte ihm das schmutzige Geld, und Finzi schleuste es durch diverse Umweltschutzorganisationen, spendete es ökologischen Lobbys, und die investierten es in juristische Angelegenheiten, die demselben Calgari anvertraut waren. Danach brauchte man das Geld nur noch in Sutters Hedgefonds zu »verlieren« und konnte es den Eigentümern wie neu zurückgeben. Und alle waren zufrieden. Alle bis auf seinen Partner Luigi Martignoni, der die Bücher der Gesellschaft allzu gründlich studiert hatte und drohte, den Ring auffliegen zu lassen. Aber Finzi verstand ihn zu nehmen, nur die Ruhe, hatte er gesagt, Recht hast du, das war ein Fehler von mir, und ich biege das wieder gerade.
Hatte ihm Martignoni geglaubt? Finzi meinte ja, aber sicher sein konnte er nicht. Tatsächlich hatte dieser Idiot Calgari die Nerven verloren und ihn umgebracht.
Danach hatte Finzi den Kontakt zu ihm abgebrochen. Aber jetzt, vor ein paar Tagen, hatte Sutter ihm einen Brief vorgelegt, in dem Calgari Informationen über die Aktivitäten der Treuhandgesellschaft forderte. Die Sache war klar: Wenn etwas schiefging, wollte Calgari mit dem Finger auf Finzi zeigen können.
Und das war unbedingt zu vermeiden.
Eines aber begriff er nicht: Warum so viele Tote? Wovor hatte Calgari Angst? Gab es irgendwo einen Beweis für seine Tat? So oder so: Calgari wusste zu viel. Und Finzi musste an seine Geschäfte, seine Klienten denken.
Wenn sie Elia Contini verhafteten, wäre es für alle das Beste.
Außer Francescas Nummer hatte Continis Mobiltelefon noch weitere Anrufe in Abwesenheit registriert. Einer war von Pancho. Bevor sie von Gionas Hütte aufbrachen, schickte ihm Contini eine Nachricht, um ihn wissen zu lassen, dass alles in Ordnung sei. Ihn konnte er nicht mehr um Hilfe bitten: Es war mehr als wahrscheinlich, dass die Polizei ihn überwachte. Der zweite Anruf war von Malfanti, und Contini wusste nicht, ob er zurückrufen sollte oder nicht. Vielleicht war auch Malfanti von
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