Am Hang
Bettina Loos je Gast dieses Hauses gewesen, noch ist im letzten Juni eine Frau mit anderem Namen tödlich verunglückt hier. – Auch nicht getötet worden oder vom Balkon gesprungen? fragte ich. – Auch das nicht, Herr Kommissar, sagte sie lachend, ich habe alles abgecheckt, hingegen ist mir eben wieder eingefallen, daß es im letzten Juni doch einen Unfall gab im Hallenbad, wenn auch nur einen kleinen und glimpflich abgelaufenen, wie du ja weißt. – Treib mich nicht in den Wahnsinn, ich weiß von gar nichts. – Du scheinst vergeßlich, sagte Eva, bist du nie einer Frau mit gebrochenem Ringfinger begegnet? – Ach so, natürlich, sagte ich, nur ist das nicht im Hallenbad passiert, sondern im Wald, sie hat einen Ast übersehen, vielleicht eine Wurzel, und ist darüber gestolpert. – Das hat sie allen erzählt, sagte Eva, es schien ihr weniger peinlich als ihr Ausrutscher am Beckenrand. – Sehr sonderbar, sagte ich. – Und da der Finger angeschwollen war, sagte Eva, mußte der Arzt ihren Trauring mit einem Zänglein kappen, hat sie davon erzählt?
Natürlich nicht, sie hat nie einen Ring getragen, wenn wir zusammen waren. – Kann ich verstehen, sagte Eva, und jetzt ist deine Gegenleistung fällig: Wo also hast du dein Märchen her, was suchst du hier, und was beschäftigt dich so stark, daß du geradezu versunken wirkst?
Ich habe einen Mann kennengelernt, per Zufall, im Bellevue von Montagnola, einen merkwürdigen Mann knapp über fünfzig, Altphilologe, wir haben uns irgendwie angefreundet, zwei Abende lang miteinander geredet, Loos hieß er, Thomas Loos, ein Bär von Statur, und hergereist war er, wie er mich nach und nach hat wissen lassen, um seiner Frau zu gedenken, seiner toten Bettina, die er, was mir verrückt vorkam, wie eine Heilige verehrte. Er war fraglos gestört, von Zeit zu Zeit fast irr – dann wieder ganz normal und von beträchtlichem Scharfsinn, vor allem wenn es um den Nachweis ging, wie schrecklich die Gegenwart sei, wie unerträglich die Welt. Nur seine Frau ließ er gelten, seine glückliche Ehe, er scheint sie auf Händen getragen zu haben, nach ihrem Tod vermutlich noch entschiedener als vorher. Kurzum, er hat mir erzählt, daß sie nach einer Operation, es ging um einen Hirntumor, zur Kur nach Cademario gefahren sei, und zwar in seiner Begleitung, und ein paar Tage danach sei dann das Unglück passiert. Man habe sie noch nach Lugano gebracht, ins Ospedale Civico, wo sie gestorben sei, am elften Juni. – Der Rest ist schnell berichtet. Wir hatten abgemacht, uns heute morgen im Bellevue, wo er wohnte, noch einmal kurz zu sehen. Er ist aber nicht erschienen, und als ich nach ihm fragte, erklärte mir die Dame am Empfang, es gebe keinen Hotelgast mit Namen Thomas Loos. Ich beschrieb ihr die Lage des Zimmers. Sie sagte nur, der Herr sei abgereist und Namen dürfe sie nicht nennen. Ich dachte zuerst, er habe sich mit falschem Namen eingetragen, kam aber aus triftigem Grund davon ab und mußte demnach folgern, daß dieser Kauz mich angeschwindelt hatte und gar nicht Thomas Loos hieß. Die Sache hat mich derart umgetrieben, daß ich, um vielleicht Klarheit zu finden, hierhergefahren bin, verstehst du jetzt? Was sagst du dazu?
Ich sage noch gar nichts, sagte Eva, ich weiß noch zu wenig, erzähl mir mehr. Worüber, zum Beispiel, reden zwei Männer zwei Abende lang? – Nun, wir haben zuerst, wie bereits angedeutet, über Gott und die Welt debattiert, allmählich aber sind wir persönlicher geworden, intimer sozusagen. Er fragte mich zum Beispiel nach meinem Junggesellenleben und nebenbei nach meinem Liebesleben. – Hast du ihm auch von Valerie erzählt? – Das lag natürlich nahe, sagte ich, das drängte sich doch auf, nachdem sich herausgestellt hatte, daß sie und seine Frau für kurze Zeit zusammen hier im Kurhaus waren. – Was sich inzwischen zweifelsfrei als falsch erwiesen hat, sagte Eva. Hat er sich sehr für deine Liebschaft interessiert? – Nicht rasend, sagte ich, er hat zwar höflich zugehört, dazwischen aber auch gegähnt. – Und Loos, was hat er dir über Bettina erzählt, ich meine an Details, an Äußerlichkeiten zum Beispiel, an Eigenheiten vielleicht? – Diverses, sagte ich, warum fragst du? – Aus weiblicher Neugier. – Ja also, sagte ich, ihr blondes Haar hat er erwähnt und ihre Sanduhrfigur und daß sie kein Fleisch aß, aber Himbeeren liebte. Mehr fällt mir nicht ein im Moment, doch, warte, sie rauchte nicht und machte sich nichts aus dem Tanzen, sie mochte
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